Hetzrunden auf verwegenen Holzpisten

Heute startet das 102. Berliner Sechstagerennen: Im Madison und Sprint jagen die Radsportler durch die Steilkurven

  • Manfred Hönel
  • Lesedauer: 2 Min.

Es ist wieder so weit! Heute um 19.55 Uhr schießt Schauspieler Jan Josef Liefers im Velodrom an der Landsberger Allee das 102. Berliner Sechstagerennen an.

Für die Radjagden unterm Dach zimmerten Handwerker bereits in fünf verschiedenen Berliner Hallen verwegene Holzpisten. Das mit 250 Metern längste »Gebirge« dehnt sich seit 17 Jahren im Velodrom an der Landsberger Allee. Die mit nur 153 Metern kürzeste Bahn installierten die Zimmerleute zwischen 1949 und 1951 in der Halle am Funkturm. Die Bahn wurde wegen mehrerer Todesstürze geschlossen. Auf der 171 m langen Bahn in der ehemaligen Werner-Seelenbinder-Halle, einer umgebauten alten Fleischhalle, schossen von Januar bis März zwischen 1951 und 1991 im Berliner Osten in jedem Winter die Amateure durch die Steilkurven.

Der inzwischen 90 Jahre alte Erich »Ete« Zawadski gehörte damals zu den Stars. Während des Krieges brummte er als Profi über die Holzlatten des Berliner Sportpalastes. Danach zog es »Ete« zurück zu den Amateuren. Er gehörte 1953 zu jener DDR-Mannschaft, die zum ersten Mal die Friedensfahrt gewann.

Sechstagerennen und Friedensfahrt - die Verbindung pflegten auf Betreiben des verstorbenen DDR-Nationaltrainers Wolfram Lindner auch die Geraer Thomas Barth und Olaf Ludwig. Seine Visitenkarte hinterlegte dabei Olympiasieger Ludwig gleich bei der Eröffnung der neuen Piste aus sibirischer Lärche im Velodrom. »An das Rennen 1997 erinnere ich mich besonders gern. Es war mein Abschied als Aktiver und die Einweihung der Bahn im Velodrom. Jeden Abend hüllten uns die Fans in einen unglaublichen Stimmungsteppich. Ich hatte das Gefühl, einer zieht ein graues Tuch weg, und da war sie wieder, die traumhafte, vereinte Radsportbegeisterung aus dem Sportpalast und der Seelenbinderhalle«, schwärmt Ludwig. Vor seinem Sechstage-Triumph als Profi stand er auch bei den Amateur-Sechstagen um den Preis der Zeitung »Junge Welt« zweimal ganz oben auf dem Podest. Zum Finale der 102. Sechstage wird Ludwig am Dienstag die Rennen im Velodrom verfolgen.

Das Herz eines jeden Sechstagerennens sind die Hetzrunden der Zweiermannschaften, auch Madison genannt. Das Starterfeld in Berlin kann besser kaum sein. Madison-Weltmeister Kenny de Ketele aus Belgien will mit Olympiasieger Luke Roberts (Australien) auf Triumphfahrt gehen. Aber auch die Berliner Lokalmatadoren Robert Bengsch und Marcel Kalz gehen aussichtsreich an den Start. Kalz gewann vergangene Woche mit Franco Marvulli (Schweiz) das Bremer Sechstagerennen.

Die Sprints indessen gelten als Salz in der Suppe. Sie bedeuten Radsport an der Abrisskante des Menschenmöglichen. So sieht das auch der Teamolympiadritte Robert Förstemann: »Wenn du mit 80 Sachen aus der Kurve geschleudert wirst, ist das am Rande der Wahrnehmung. Man wird total zusammengestaucht.« Bei einem Oberschenkelumfang von 79 cm trieb er sein Rad schon mit 79,71 km/h um die Piste. Weltrekord!

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