Im Kopf der Mörder

Zwei Dokumentarfilme befragen staatliche Auftragskiller nach ihrem Selbstverständnis

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 5 Min.

»The Act of Killing« im Panorama und »Terra de ninguém« (Niemandsland) im Forum nähern sich älteren Männern, die sich zum Töten anstellen ließen. Aber sie tun das auf sehr unterschiedliche Weise. Die portugiesische Multi-Media-Künstlerin Salomé Lamas filmte ihren einsamen Söldner und Auftragskiller vor einer schwarzen Leinwand in den bröckelnden Ruinen eines leeren Hauses. Sie entschied sich dafür, seine (ebenso rassistischen wie blutigen) Erinnerungen an die Kolonialkriege in Angola und Mosambik und die anschließende freiberufliche Arbeit für die spanischen, französischen und portugiesischen Geheimdienste chronologisch zu ordnen und säuberlich durchzunummerieren. Der US-Filmemacher Joshua Oppenheimer ging für seine anglo-dänische Produktion »The Act of Killing« ganz andere Wege.

Weil seine Protagonisten sich selbst als Kinohelden sahen, während sie in Indonesien Mitte der 60er Jahre Tausende sogenannter Staatsfeinde mit den eigenen Händen eliminierten, gab Oppenheimer ihnen ein Filmteam an die Hand - Kameras, Kostüme, Licht, Ausstatter und Maskenbildner. So ließ er ihnen die Wahl, wie sie sich selbst zu inszenieren wünschten.

Beide Filme gehen unter die Haut, beide erreichen ihr Ziel, beide werfen zumindest einen Lichtkegel auf die Frage, wie Menschen dazu kommen, sich das Töten zu gestatten - und wie sie im Nachhinein mit ihren Taten umgehen. Lamas’ portugiesischer Killer bezahlte am Ende für eine seiner Taten und fühlt sich deshalb schlecht behandelt, weil man ihm gerade diesen einen Mord doch gar nicht hatte nachweisen können. Die Killer bei Oppenheimer dagegen lassen sich bis heute für ihre Taten von damals beglückwünschen.

Mit Hollywood-Filmen verdienten sie ihr Geld, aus Hollywood-Filmen bezogen sie ihre Helden, Rollenvorbilder und Tötungstechniken: Anwar Kongo und Männer wie er ermordeten im Auftrag der indonesischen Militärdiktatur rund eine Million angeblicher Kommunisten, die intellektuelle Opposition, viele ethnische Chinesen und andere Minderheiten sowie sonstige missliebige Bürger. Die Mörder hatten sich als Gangster auf dem Schwarzmarkt für Kinotickets einen zweifelhaften Ruf erworben, bevor sie vom Regime als Handlanger für den staatsverordneten Genozid angeheuert wurden.

Bis heute hat keiner dieser Männer für seine Taten geradestehen müssen: Öffentlich gefeiert, von politischen, militärischen und paramilitärischen Kadern höchsten Ranges nicht nur klammheimlich gedeckt, sondern öffentlich belobigt, sind Anwar Kongo und seine Mitstreiter sich bis heute keiner Schuld bewusst. Die Kommunisten wollten schließlich den Staat unterminieren und, beinahe schlimmer noch, die Einfuhr US-amerikanischer Filme verbieten - wer konnte sich das schon gefallen lassen? Also ging man abends ins Kino, sah sich in der Hauptvorstellung ein Musical, einen Western oder Gangsterfilm Made in USA an, und schritt danach auf dem Dach der örtlichen Folterzentrale zur Tat, neu motiviert und allerbester Laune. Wie zum Beweis skizziert Anwar Kongo ein paar Tanzschritte, und er macht das gut: weiche Bewegungen, geschmeidige Grazie, sichtliche Freude an der geträllerten Melodie.

Am Morden hat ihn diese Grazie nicht gehindert. Anfangs habe man die Gefangenen noch mit dem Messer getötet, aber das viele Blut sei zum Problem geworden. Die Mücken! Der Gestank! Also dachte man sich etwas anderes aus. Und Anwar Kongo macht auch das vor vor der Kamera: das fachgerechte Töten mit der Garotte, dem Draht, der sich um den Hals des Opfers windet, fest in der Wand verankert auf der einen Seite, während am losen Ende ein Holzstück dem Killer einen Handgriff bot, der sich daran mit ganzem Körpergewicht ins Zeug legte. Schnell, leise, blutfrei - ein gut gemachter Job. Trotzdem, reminiszieren die auf ihr Handwerk sichtlich stolzen Mörder, habe man sich auch mal andere Tötungsmethoden einfallen lassen. Jemanden mit dem Auto zu überfahren beispielsweise, oder ein ganzes Dorf in der Provinz mit Macheten und Feuer dem Erdboden gleich zu machen.

Die Szene, in der sie das nachspielen, schreit nach Statisten. Also werden die Bewohner der umliegenden Dörfer verpflichtet, das Chaos, die vergeblichen Fluchtversuche und vielfachen Meuchelmorde nachzustellen. Die Killer spielen sich selbst, inszenieren mit, gebärden sich als wichtige Leute. Am Ende des Drehs applaudiert man sich gegenseitig für die überzeugende Darstellung - nur die Frauen sind blass und die von den Schreien und Gewaltdarstellungen sichtlich traumatisierten Kinder können gar nicht aufhören mit dem Heulen.

Anwar Kongo und seine Mitstreiter aber sehen sich in der Nachfolge von Kommunistenhasser John Wayne. Sie dienen heutigen Gouverneuren als Beiwerk auf offiziellen Fotos und lassen sich von der Pancasila-Jugend feiern, einer paramilitärischen Organisation, die ihre menschenfeindlichen Überzeugungen in eine Volksbewegung überführte.

Als Oppenheimer mit den Mördern, Gouverneuren und Paramilitärs zu filmen begann, hatte er bereits Erfahrung im Umgang mit den Gräueln der indonesischen Diktatur. Nur hatte er die bisher von der anderen, der Opferseite her aufgerollt. Das aber erwies sich als schwierig bis lebensgefährlich, vor allem für die Opfer. Erst als sein Team und er ihre Kameras auf die Täter richteten, konnten offizielle Stellen gar nicht schnell genug Türen für sie öffnen.

Mit dem Ergebnis allerdings werden sie hadern. Denn während Salomé Lamas am Ende voller Larmoyanz den Tod ihres »Helden« bedauert und wirklich jede - nicht nur professionelle - Distanz vermissen lässt, gelang Oppenheimer das, was selbst »Massaker« - der moderne Klassiker im Genre der Interviewfilme mit handwerksstolzen Massenmördern - nicht vermochte: Am Ende von »The Act of Killing« erlebt man mit, wie bei Anwar Kongo Fantasie und Gewissen einsetzen. Wie lebt einer damit weiter?

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