Kuhle Kleider

Ein Modelabel aus Hannover verarbeitet Stoff aus einer selbst entwickelten Bio-Faser auf Milchbasis

  • Anna Schütz
  • Lesedauer: 6 Min.

Dass Milch der Haut gut tut, wussten schon Kleopatra und die alten Ägypter. Wieso aber hängt Milch inzwischen auch im Kleiderschrank? Die Antwort darauf hat Anke Domaske. Die junge Frau ist Modedesignerin, diplomierte Mikrobiologin und Geschäftsführerin der Firma Qmilch aus Hannover. Sie hat in den vergangenen Jahren eine Stofffaser entwickelt, die aus Milch besteht.

Als ich ihr Atelier betrete, stolpere ich fast über eine alte Milchkanne in den großen weißen Raum. Neugierig befühle ich die an langen Stangen aufgehängten Kleider: Ganz weich und fließend ist das Material, aber auch ein bisschen schwerer als erwartet.

Große Dinge beginnen manchmal ganz leise. So hat Anke Domaske ganz ohne großes Brimborium eine Stofffaser entwickelt, um damit eigentlich nur ihrem Stiefvater zu helfen. Die junge Mikrobiologin, die in Sachsen-Anhalt aufgewachsen ist, erklärt: »Er hatte Krebs und lag nach einem Blutaustausch in einem sterilen Raum. Sein Immunsystem reagierte empfindlich auf alle Umwelteinflüsse, und ich wollte für ihn etwas absolut Chemieloses zum Anziehen herstellen.«

Nachhaltiger und chemikalienfreier Stoff

Sie beginnt zu forschen und zu experimentieren: »Immer wieder musste ich Rezepte verwerfen. Denn was nützt eine Faser, die sich beim Waschen auflöst?«, fragt sie rhetorisch. Aber bald weiß sie, dass sie auf dem richtigen Weg ist - und bittet das renommierte Bremer Faserinstitut Fibre um Hilfe. Die Quereinsteigerin erteilt einen Forschungsauftrag und schon knapp zwei Jahre nach den ersten Versuchen steht das Rezept: Die erste hundertprozentige Bio-Milchfaser läuft durch die Maschine. »Forscherglück« nennt sie es und meldet die neue Faser zum Patent an. Sie ahnt noch nicht, dass schon in kürzester Zeit Preise, Presse und Produktion der Faser auf sie zukommen.

»Die Idee, aus Milch, besser gesagt aus ihrem Hauptbestandteil Kasein, Fasern für Kleidung herzustellen, ist nicht neu. Seit den 30er Jahren macht man das«, weiß sie. »Aber beim bisherigen Verfahren wurden noch 75 Prozent erdölbasiertes Acryl benötigt, außerdem Chemie bei der Herstellung eingesetzt und dann unendlich viel fließendes Wasser verschwendet, um das Endprodukt zu reinigen.«

Je nach Stoffart benötigt man zur Herstellung bis zu 25 000 Liter Wasser pro Kilogramm Gewebe. Um eine nachhaltige und allergiefreie Kleidung zu produzieren, muss Qmilch, so der bezeichnende Name der jungen Firma, sowohl den immensen Wasserverbrauch reduzieren als auch jegliche Allergie auslösende und chemische Inhaltsstoffe vermeiden. »Denn Pestizide, die beim Baumwollanbau ja oft eingesetzt werden, bekommt man im Grunde aus den Stoffen nicht mehr raus«, erklärt die 29-Jährige. Und diese Rückstände verursachen nicht nur Hautprobleme; manche Allergiker bekommen davon Kopfschmerzen, Knochenbeschwerden und vieles mehr.

Die Milchfasern, die Anke Domaske und das Bremer Institut Fibre entwickeln, sind absolut naturbelassen, antiallergisch und antibakteriell. »Außerdem brauchen wir für ein Kilo Qmilch-Stoff nur zwei Liter Wasser«, sagt sie stolz. »Und schreiben Sie unbedingt, dass wir keine Trinkmilch verwenden«, bittet sie mich. »20 Prozent der allein in Deutschland produzierten Milch wird regelmäßig weggekippt, weil sie nicht den Anforderungen der Lebensmittelproduktion genügen. Wir nehmen den ›Abfall‹ und verwerten ihn sinnvoll.«

Wie aber wird die revolutionäre Faser genau hergestellt? Was Anke Domaske dann erklärt, klingt ein bisschen wie Großmutters Pfannkuchen-Rezept: »Nehmen Sie eine Milch, die sauer wird. Dabei entsteht Molke, eine gelbliche Flüssigkeit, bei der sich oben Flocken absetzen, die wie Quark aussehen. Das ist das Kasein, der Rohstoff unserer Faser. Nach dem Trocknen sieht das dann aus wie normales Eiweißpulver.« In einer eigens für sie entwickelten Maschine wird dieses Pulver mit Wasser und weiteren natürlichen Zutaten zu einer Flüssigkeit verrührt und durch ein spezielles Sieb gedrückt. Die dabei entstehenden Fäden sind dünner als ein Haar. Sie werden dann zur endgültigen Faser gesponnen. Aber ganz so einfach wie ein Eierkuchen ist es dann doch nicht, die Faser herzustellen: Zeiten und Temperaturen müssen genau eingehalten werden, das Verhältnis von Kasein und Wasser muss stimmen und außerdem werden noch andere Naturstoffe beigemischt - die genaue Rezeptur verrät Domaske verständlicherweise nicht.

Lachend erzählt sie dann: »Nach den Spinntagen haben wir alle immer ganz weiche Hände.« Denn die neue Superfaser ist zudem noch ein echtes Wellnessprodukt. Sie hat eine Temperatur regulierende Wirkung und das enthaltene Kasein pflegt die Haut, beugt der Hautalterung vor und baut zudem einen Schutzfilm auf, der schädliche Toxine aus der Umwelt fernhält. Im Tragegefühl und in ihren Eigenschaften gleicht sie der Seide, »ist aber bei 60 Grad waschbar und preisgünstiger als diese«, ergänzt die Patentinhaberin. »Und natürlich stinkt sie nicht nach Kuh.«

Trotz der vielen positiven Eigenschaften ihrer innovativen Entwicklung ist die gebürtige Sachsen-Anhalterin vom Interesse an ihrem Produkt überwältigt: »Für die Bekleidungsindustrie habe ich das vielleicht noch erwartet, aber wir bekommen Anfragen aus allen möglichen Branchen - aus der Auto- und Möbelindustrie, Heimtextilienhersteller rufen an und auch die Medizintechnik interessiert sich für die Qmilch-Faser.«

Alle wollen testen, wie sich die neue Faser anfühlt, wie reißfest und formbeständig sie ist, ob sie tatsächlich die Wundheilung beschleunigt und damit ein ideales Verbandsmaterial sein könnte. Aktuell versucht Domaske, die heilende Wirkung der Faser in einer Studie nachzuweisen. Bis diese abgeschlossen ist, wird sie bereits mit anderen Produkten auf den Markt gehen. Denn die Zeit für die Milchfaser ist günstig: Wegen der Ausfälle der Baumwollernte fehlen der Textilindustrie weltweit sechs Millionen Tonnen Fasern. Außerdem ist der Ruf nach einem Naturgewebe bei stetig steigenden Baumwollpreisen und den Bedenken gegen synthetische Fasern nur zu verständlich.

Ab Sommer geht die Produktion in Serie

Die neue Maschine, die in mühsamer Detailarbeit für und mit Domaske entwickelt wurde und die bis Mitte 2013 endlich gebaut werden soll, kommt da gerade recht. Sie könnte von Beginn an auf Hochtouren arbeiten - unter anderem auch für die eigene Design-Kollektion der Jungunternehmerin. Denn Anke Domaske ist nicht nur diplomierte Mikrobiologin. Schon seit frühester Kindheit näht und schneidert die Urenkelin einer Hutmacherin selbst. Neben dem Studium zieht sie ihr Modelabel Mademoiselle Chi Chi (heute: MCC) auf. Inspiriert und fasziniert von der japanischen Kultur, verbringt sie sechs Monate in Tokio und legt damit den Grundstein für den weiteren Erfolg der Marke. Da liegt es natürlich nahe, den neuen Stoff auch für die eigene Kollektion zu nutzen - auch wenn die Modefirma, die gerade in den Anfängen die Qmilch-Aktivitäten finanziert hat, zusehends in den Hintergrund tritt.

Schon jetzt gibt es erste Kleider aus Milchfaser und Viskose. Ab der Sommersaison 2013, wenn die neue Maschine ihre Produktion aufgenommen hat, können wir uns dann Bekleidung der Jungdesignerin aus 100 Prozent Milch in den Schrank hängen - und sind damit in guter Gesellschaft. Denn auch US-Stars wie Mischa Barton und Ashlee Simpson tragen die Kleider aus Hannover und die beiden Fernsehmoderatorinnen Barbara Schöneberger und Frauke Ludowig sind ebenfalls schon auf den Geschmack gekommen.

Die Reportage zur Firma Qmilch in Hannover gehört zu den vielen Geschichten von gelebten Gegenentwürfen, die von »Futur Zwei«, der Stiftung Zukunftsfähigkeit, in ihrem Zukunftsalmanach erzählt werden. Es sind Geschichten, die zeigen, wie eine enkeltaugliche Zukunft aussehen kann.

Harald Welzer, Stephan Rammler (Hg.): Der FuturZwei-Zukunftsalmanach 2013. Geschichten vom guten Umgang mit der Welt. 462 S., Fischer Taschenbuch.

www.futurzwei.org

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