»Bye Bye Mitte«

Fotografie-Forum c/o Berlin zieht aus dem Postfuhramt aus

Sie hatten sie alle. Leibovitz, Nachtwey, Mapplethorpe, Corbijn, Lindbergh, kaum ein Name war in den letzten sieben Jahren groß genug für das Fotografie-Forum c/o Berlin in der Oranienburger Straße in Mitte. Heute nun quietscht der Linoleumboden des alten kaiserlichen Postfuhramtes ein vorletztes Mal unter den Füßen seiner Besucher. Auf der Webseite werden die Tage, Stunden, Minuten, ja sogar Sekunden heruntergezählt. Die Ausstellungen von Christopher Strömholm und Regisseur Ulrich Seidl enden früher als geplant und am Samstag macht dann der oder die Letzte nach der für alle offenen Abrissparty »Bye Bye Mitte« mit zahlreichen DJs, zwei Tanzflächen und drei Bars das Licht aus.

»All Palaces are Temporary Palaces« (alle Paläste sind nur Paläste auf Zeit) heißt es in den großen Lettern der Lichtskulptur des britischen Künstlers Robert Montgomery, die momentan noch wie ein Damoklesschwert über den Dächern des c/o Berlin schwebt. Ein geradezu nüchterner Abschiedsgruß, den Fotograf Stephan Erfurt, Designer Marc Naroska und Architekt Ingo Pott, die Gründer des »International Forum For Visual Dialogues« da hinterlassen. Sie seien zwar immer »Mitte-Kinder« gewesen, gab Erfurt kürzlich zu, aber irgendwann wird jedes Kind mal erwachsen und zieht von Zuhause aus. Und wenn es dazu gezwungen wird, erst recht.

Bis zum 15. März müssen die Drei den Schlüssel für den imposanten klassizistischen Bau, dem sie ab 2006, nach dem morbiden Charme ehemaliger DDR-Postämter, zu neuem, hippen Glanz verhalfen an Biotronik, einem Hersteller von Medizintechnik mit Hauptsitz in Neukölln, übergeben. Biotronik hatte dem Foto-Forum gekündigt und eine Räumungsunterwerfung zustellen lassen. Nach jahrelangem Gezeter um einen neuen Standort ist nun die Zeit vorbei, in der jährlich 200 000 Besucher im bohèmen Dunstkreis des Hackeschen Marktes durch die Ausstellungsräume drängeln.

Als das Ende einer Ära wird der Wegzug von c/o Berlin aus Mitte von vielen bedauert, auch von ihnen selbst. Aus der ersten Heimstätte in der Linienstraße zog es sie 2006 ins Postamt, zuvor hatten der Club Cookies, die erste Berlin Biennale und die Love Letters von HA Schult hier Gastspiele. Jetzt kehrt - wahrscheinlich - die sterile Reinheit eines Medizintechnikunternehmens in das Quartier ein. Was genau die Firma mit dem Gebäude vorhat, darüber herrscht noch Schweigen. Für den Kulturraum Hackescher Markt steht nur fest: Das Tacheles ist auch schon weg. Der Ausverkauf um die Hackeschen Höfe herum, ein einst vernachlässigtes Gewerbegebiet, nimmt seinen Lauf. In unmittelbarer Nähe übrig geblieben sind die »Kunst-Werke Berlin« in der ehemaligen Margarinefabrik und die Galerie Eigen+Art in der Auguststraße.

Aber was so gut funktionierte wie c/o Berlin, das im Jahr 2009 mit der Annie Leibovitz Ausstellung »A Photographer›s Life‹« wochenlang Besucherschlangen rund um das Gebäude produzierte, verschwindet nicht einfach so, es taucht nur woanders wieder auf. Laut Senatskulturverwaltung gehört das c/o Berlin mit dem Martin Gropius Bau und dem Deutschen Guggenheim zu den beliebtesten Ausstellungshäusern der Stadt. Die Leibovitz-Ausstellung hatten in den vier Monaten, die sie zu sehen war, über 100 000 Menschen besucht. Penibel, wenn auch etwas schief, hat die Investitionsbank Berlin in einer Studie ausgerechnet, dass insgesamt 6,43 Millionen Euro pro Jahr von den Fotografiebegeisterten im Bezirk Mitte zurückgelassen werden.

C/o Berlin verkörpert Geld und Prestige, dass man auch woanders gut gebrauchen kann. Nachdem die attraktivste Ausweichmöglichkeit in den bereits zugesicherten Atelierräumen im Monbijou-Park durch baurechtliches Hick Hack doch nicht genutzt werden konnte, wird das c/o Berlin nun im Westen mit offenen Armen empfangen. Für die neue Fotogalerie auf dem Areal an der Monbijoustraße hatte c/o-Mitbegründer und Architekt Ingo Pott schon einen pompösen und zum Teil begehbaren Glasriegel entworfen. Fünf bis acht Millionen Euro sollte der Umbau kosten. Während man aber in Mitte monatelang in der Luft hing und nicht wusste, wie es weitergehen soll, erzählt Erfurt der »taz«, hat es beim Charlottenburg-Wilmersdorfer Bürgermeister Reinhard Naumann nur sechs Minuten gedauert, bis er zurückrief und seine Zusage gab.

Die neue Bleibe im Amerikahaus am Bahnhof Zoo teilt sich c/o Berlin mit der Landeszentrale für politische Bildung. Nachdem das ehemalige Kulturzentrum der USA in Berlin denkmalgerecht saniert wurde, soll im Herbst die Neueröffnung stattfinden. Den Mietvertrag hatte c/o Berlin im Dezember letzten Jahres unterschrieben und dieser läuft dieses Mal über 16 Jahre.

Gemeinsam mit dem nur ein paar Hundert Meter entfernten Museum für Fotografie und der Helmut-Newton-Stiftung entsteht mit dem Umzug von c/o Berlin an den Kurfürstendamm die neue Troika der Berliner Fotokunst oder eigentlich von ganz Europa, wenn es nach Forumschef Stephan Erfurt geht.

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