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Wagemut am Sicherungsseil
Im Podcast »Der Sprung ins kalte Wasser« sprechen Katja Kipping und Jutta Allmendinger mit Gästen darüber, wie es ist, etwas Neues zu wagen
Das Beste an der Kindheit und Jugend war ja, dass man so gut wie alles, egal wie banal es war, zum ersten Mal machte. Erstes Mal Eis essen, erstes Mal schwimmen ohne die Hilfe von Luft-Flügelchen, erster Rausch, erstes Mal verliebt. Hach. Das sind echte Gefühle von Selbstwirksamkeit. Je älter man wird, desto seltener werden die ersten Male, umso seltener gerät man noch in diesen euphorischen Zustand, der sich nur einstellt, wenn einen das Unbekannte überwältigt. Altwerden heißt aber nicht, dass es diese ersten Male nie wieder gibt, sie fühlen sich nur anders an, irgendwie existenzieller, nicht mehr so federleicht. Erstes Mal den Job wechseln, erstes Mal Scheidung, erstes Mal das eigene Kind von der Polizei abholen.
Die ehemalige Linke-Vorsitzende und Ex-Senatorin Katja Kipping und die Sozialwissenschaftlerin Jutta Allmendinger widmen sich in ihrem gemeinsamen Podcast »Der Sprung ins kalte Wasser« genau diesem Gefühlszustand: Keine Ahnung, was kommt, aber ich mach’s jetzt einfach. Eine schöne Idee eigentlich, bietet dieser Podcast doch die Chance, sich Motivation zu holen, wenn nicht immer alles nach Plan läuft. Es menschelt also gewaltig.
Als erste Gäste haben sie sich selbst eingeladen und plaudern einigermaßen thesenfrei drauflos, was sie mit vielen Podcasts aus dem Laien-Ratgeber-Genre (man könnte sie auch einfach Influencer nennen) gemeinsam haben. Kipping, 25 Jahre in der Politik, wird 2021 Linke-Sozialsenatorin in Berlin und knapp zwei Jahre später arbeitslos, weil das Bankrottland Berlin die Senatswahl wiederholen muss und die SPD danach lieber mit der CDU koaliert. Was nun? Die Linke ist schon längst im Tal der Tränen angekommen, Kipping hat in der Partei alles erreicht, was man an Ämtern so übernehmen konnte. Sie lässt sich zur Rettungsschwimmerin ausbilden, gibt fortan immer donnerstags ehrenamtlich Schwimmunterricht und schreibt ihren ersten Lebenslauf seit über 20 Jahren für den Paritätischen Verband, bei dem sie auch heute noch arbeitet. Zuvor waren Bewerbungsreden für Parteiposten der Ersatz dafür gewesen, ihren Lebenslauf fit zu machen. Über ihre kurze Arbeits- und damit Orientierungslosigkeit spricht Kipping ohne falsche Scham. Sie hatte auch das geistige wie finanzielle Kapital, sorglos in diese Zeit der Ungewissheit aufzubrechen. Das weiß sie, weshalb man ihr das gut gelaunte Geplauder nicht übel nehmen kann. Für andere bedeutet arbeitslos zu werden etwas anderes, da ist das Wasser beim Sprung nicht sprichwörtlich kalt, aber das ist hier (leider) nicht Thema.
Jutta Allmendinger, die zusammen mit Kipping den Podcast hostet, ist mittlerweile in Pension, worüber sie genauso gut gelaunt spricht, denn immerhin ist diese Frau eine bekannte, hoch angesehene Sozialwissenschaftlerin, mit mehreren Aufsichtsratsposten und Beiratstätigkeiten ausgestattet; auch im Ruhestand. Wenn man im Lexikon also unter privilegierte Rentnerin nachschlägt, ist dort mit Sicherheit ein Bild von Jutta Allmendinger abgebildet, was nicht ihre wissenschaftliche Karriere abwerten, sondern nur verdeutlichen soll, welche Sprecherinnenposition diese Frau hat, die sich hier mit Gästen über Neuanfänge und Wagemut unterhält. Allmendinger weiß jetzt, da sie keinen eigenen Fahrer mehr hat, immerhin, wie man mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fährt.
Die Fallhöhe steigt gemächlich mit dem Gast der zweiten Folge. Allmendinger und Kipping unterhalten sich mit der WDR-Journalistin Georgine Kellermann über ihr Coming Out als Transfrau. Aber auch hier, und das ist an und für sich ja schön, hören wir überwiegend Positives. Die Eltern nahmen ihre Tochter mehr oder weniger gelassen an. Andere, und das sagt Kellermann selbst, werden von ihrem Vater nach solchen Gesprächen verprügelt. Auch die Kolleg*innen hätten im schlimmsten Fall nur übergriffige Fragen gestellt, aber niemand wandte sich von ihr ab.
Als vierten Gast laden die beiden Heidi Reichinnek ein, die noch einmal die Entstehungsgeschichte ihrer explosiven AfD-Rede rekapituliert und über ihren plötzlichen Ruhm in ihrer zutiefst sympathischen Hoppla-Hopp-Art spricht. Andere Gäste sind die ehemalige SPD-Parteivorsitzende Andrea Nahles oder der Ex-Brandenburger Wirtschaftsminister Albrecht Gerber, der aus privaten Gründen überraschend zurücktrat, von dem man aber ebenso wie bei Kipping weiß, dass er noch aus Zeiten der Platzeck-SPD in seiner Partei hervorragend vernetzt war.
Insgesamt also unterhalten sich hier Menschen mit Menschen, denen ein Neuanfang, ein Schritt ins Unbekannte, zwar durchaus schwergefallen sein mag, denen aber nie angst und bange um die eigene Existenz sein musste, denen nie die Wohnung gekündigt wurde, weil sie die Miete nicht mehr zahlen konnten, denen eine Suchterkrankung mindestens das eigene Leben ruinierte, oder die wirklich schwere Schicksalsschläge überwinden mussten. Scheitern kommt hier nur als Chance vor, weil die Eingeladenen über mindestens ein, eigentlich mehrere, Sicherheitsnetze verfügen (Pensionsansprüche, Übergangsgelder, Aufsichtsratsposten, stabile, liberale Netzwerke oder schlicht die kognitiven Fähigkeiten, sich aus einer Überforderungssituation herauszuwursteln).
Das alles kann man den Gesprächspartnern natürlich nicht vorwerfen, aber diese Sorglosigkeit, dieses Gerade-noch-mal-gut-gegangen, mit der hier letztendlich privilegierte Menschen über das Scheitern oder das Mutigsein sprechen, ist ein Schwachpunkt des Podcasts. Gesellschaftspolitisch relevant ist das nicht und das bei zwei Personen, denen gerade das in ihrer eigenen Arbeit immer wichtig war. Kipping und Allmendinger laden Leute aus ihrer Bubble ein und damit ist die Vielschichtigkeit der Geschichten eben begrenzt.
Wirklich schwer zu ertragen ist allerdings Allmendingers Unfähigkeit, andere Menschen ausreden zu lassen, was mindestens im Gespräch mit Kellermann bis hart an die Grenze des Erträglichen nervt, weil an vielen Punkten mehr Raum für ihre Erzählungen dem Podcast gut getan hätte.
Die Leitidee von »Der Sprung ins kalte Wasser« ist durchaus interessant, wenn sie mehr Ratlosigkeit zugelassen oder Abhängigkeiten von einem gut ausgebauten Hilfenetz aufgezeigt hätte. Und es handelt sich hier um ein hübsches Beispiel dafür, warum professioneller Journalismus immer noch gegen den Betroffenheitsimpetus gewinnen kann.
Verfügbar unter: https://dersprung.podigee.io/
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