Bezahlbare Mieten für alle!

Plädoyer für ein nationales Wohnungsbauprogramm

  • Eberhard Demm
  • Lesedauer: 6 Min.

Wohnen ist für viele Menschen zu einem geradezu existenziellen Problem geworden. In Berlin und den westdeutschen Ballungsräumen stiegen die Mieten von 2007 bis 2012 im zweistelligen Prozentbereich. Hohe Grundstückspreise, Kreditzinsen, teure Baukosten eines Wirtschaftszweigs, der sich seit langem gegen Innovationen sperrt, und nicht zuletzt hohe Renditeerwartungen der Eigentümer führen zu einer Miete von 9 bis 15 Euro pro Quadratmeter. Dazu kommen die steigenden Nebenkosten, die rabiat erhöhten Stromkosten und die als Fernsehgebühr getarnte Zwangssteuer, die nur ein Vorbote der von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) bereits ausgeheckten weiteren Belastungen ist.

Laut Berechnungen des Wirtschaftsforschungsinstituts »Kiel Economics« wird die Bevölkerung durch Zuwanderung aus dem Ausland bis 2017 um 2,2 Millionen Menschen zunehmen. Der öffentliche Wohnungsbau hat diese Bevölkerungsexplosion verschlafen. Die einschlägigen Bundeshilfen für die Länder in Höhe von 518 Millionen Euro jährlich wurden außer in Bayern, Hamburg und NRW für ganz andere Zwecke ausgegeben, was Bundesbauminister Peter Ramsauer (CSU) letzte Woche zu Recht kritisierte. So auch in Berlin, wie der Berliner Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) dem Bundesbauausschuss kleinlaut gestehen musste. Berlin schoss überhaupt bei Wohnungen den Vogel ab: So wurden dort seit zehn Jahren von den städtischen Wohnungsgesellschaften sogar ganze Mietshäuser wegen Leerstands und angeblich »andauernder Stadtflucht« abgerissen. Die Grünen-Abgeordnete Barbara Oesterheld warnte schon 2002 weitsichtig: »Wenn jetzt Wohnraum in großem Umfang zerstört wird, müssen in absehbarer Zeit wieder neue Wohnungen gebaut werden. So ist in Zukunft mit einer vermehrten Zuwanderung aus Osteuropa zu rechnen.«

Jetzt wird zwar überall gebaut, aber zumeist Luxusappartements, die die breite Masse der Bevölkerung gar nicht bezahlen kann. 27 Prozent des Nettoeinkommens verschlingt die Miete bereits jetzt im Durchschnitt, und damit ist die Schmerzgrenze erreicht. Man muss anerkennen, dass sich inzwischen die städtischen Behörden ganz besonders in Hamburg, aber auch in Frankfurt am Main und anderen westdeutschen Ballungsräumen um Lösungen bemühen. Und auch in Berlin vergeht kaum eine Woche ohne beruhigende Meldungen. So können private Bauherren bei einem Zehntel oder gar einem Drittel ihrer Neubauten zu niedrigen Mieten veranlasst werden - klägliche Staudämme, die die Sturmfluten kapitalistischer Profitgier wohl nicht auf die Dauer aufhalten können.

Der bekannte Mietspiegel, vermeintlich ein Instrument, die Kosten zu begrenzen, orientiert sich nur an den Mieten, die sich in den letzten zwei Jahren verändert haben oder neu abgeschlossen wurden, also in der Praxis an Mieterhöhungen. Dem Mieter wird aber damit vorgegaukelt, dass seine Wohnung unter dem üblichen Mietniveau liegt und eine Erhöhung aus diesem Grund gerechtfertigt ist. Es handelt sich in Wahrheit um einen »Miet-Erhöhungs-Spiegel«, der alle zwei Jahre Mieterhöhungen auf den Altbestand überträgt und so zu einer Spirale ohne Ende führt.

Inzwischen hat Ramsauer, der vier Jahre lang nur Straßen für die Blechlawine baute, den Wohnungsbau entdeckt: Wiederaufnahme der degressiven Abschreibung für die Bauherren, weitere jährliche Förderung in der bisherigen Höhe über 2014 hinaus - aber nur wenn Schäuble es ihm auch gestattet! Unverbindliche Wahlversprechen, deren Erfüllung in den Sternen steht, mit Recht von der SPD als »Lachnummer« apostrophiert. Außerdem sehen die Bundesregierung im »Mietrechtsänderungsgesetz« und die SPD in ihrem »Strategiepapier« Begrenzungen des Mietenanstiegs vor, auf 15 Prozent in drei bzw. in vier Jahren, d.h. um 5 bzw. 3,75 Prozent jährlich. Aber werden die Renten auch jedes Jahr um 5 Prozent erhöht? Vom Reallohn ganz zu schweigen, der in Deutschland als einzigem Land Europas jahrelang stagnierte und sich erst in letzter Zeit geringfügig erhöht hat.

Im übrigen agieren etwa die Berliner Städtischen Gesellschaften, die früher die Mietpreise dämpfen sollten, inzwischen hemmungsloser als private Eigentümer. Dafür zwei Beispiele aus dem Bereich der DEGEWO: Das Ehepaar Köhler* übernahm 2001 eine quasi unbewohnbare Wohnung, musste sich zu umfangreichen Reparaturen und neuer Badausstattung verpflichten, bezahlte aber trotzdem 50 Prozent mehr als der vorige Mieter. Seit 2005 kann es sich der immer neuen Mieterhöhungsforderungen nur mit Hilfe von Rechtsanwälten erwehren, bisher zwar erfolgreich, aber unter psychischer Dauerbelastung. Eine Mieterhöhungsklage läuft gerade an. Die studentische Wohngemeinschaft Becker/Seebach/Kraus* wurde durch Mieterhöhungen und Prozessdrohungen so entnervt, dass sie 2010 auszog. Seitdem wird die Wohnung als Architektenbüro genutzt!

Eine Anfrage im Abgeordnetenhaus ergab 2012, dass die Mieten der städtischen Gesellschaften pro Quadratmeter durchschnittlich nur um einen Cent billiger als im freifinanzierten Wohnungsbau sind. Inzwischen sollen sie laut Medienberichten um 39 Cent über der Berliner Durchschnittsmiete liegen. Die seit August 2012 versandten 60 000 Mieterhöhungsbescheide haben wohl ihre Wirkung getan. Wer nicht zahlt, wird verklagt - Arbeitsbeschaffung für die Rechtsanwälte.

Was ist zu tun? Der Miet-Erhöhungs-Spiegel muss durch einen wirklichen Mietspiegel ersetzt werden, der sich an den Mieten aller Wohnungen orientiert, wie es der Mieterbund schon seit Jahren verlangt. Besser und einfacher wäre es, die Erhöhungen auf die Inflationsrate zu begrenzen, wie es jüngst Gregor Gysi gefordert hat und wie es in Frankreich schon seit Jahrzehnten üblich ist. Der Wohnungsbau darf nicht den Ländern und schon gar nicht den »Heuschrecken« überlassen werden. Ein großzügiges nationales Wohnungsbauprogramm muss her, das aber private wie kommunale Bauherren zu Mietbegrenzungen verpflichten muss.

Heute könnte die Errichtung von Mietshäusern in Ballungsgebieten durch die staatliche »Kreditanstalt für Wiederaufbau« (KfW) finanziert werden, nach dem Vorbild der bisherigen Eigenheimförderungen, d.h. mit Krediten zu höchstens ein Prozent und Tilgungsbeihilfen. Und wohlgemerkt direkt - ohne die Vermittlung der Privatbanken, die nur unnötig den Zins erhöhen! Die Mittel der KfW sollten durch Fördergelder des Bundes sowie der EZB aufgestockt werden. Was den Bankern recht ist, sollte dem öffentlichen Wohnungsbau schon lange billig sein. Schließlich ist Wohnen ein elementares Grundbedürfnis, Zockerbanken sind es nicht. Außerdem sollten die Kommunen Grundstücke zu günstigen Preisen zur Verfügung stellen.

Das Ziel sollte sein, bei Neubauwohnungen eine Kostennettomiete zwischen fünf und sechs Euro pro Quadratmeter zu erzielen, was der Bundesdurchschnittsmiete entspricht und bei geförderten Wohnungen mit 5,90 Euro auch schon realisiert worden ist (Beispiel: Hamburg, Suttnerparkviertel). Das kapitalistische Gesetz von Angebot und Nachfrage, das in Ballungsgebieten zu doppelt so hohen Mieten wie im Bundesdurchschnitt geführt hat, muss auf diese Weise im Sinne der sozialen Marktwirtschaft ausgehebelt werden.

Was soll die Linkspartei machen? Sie muss endlich ausbrechen aus dem engen Wählerghetto von Hartz IV/Niedriglohnempfänger/Ostrentner, die oft entweder gar keine Miete zahlen (Hartz IV) oder Wohngeld bekommen. Die Partei muss vielmehr die vom ökonomischen Abstieg bedrohte Mittelschicht für sich gewinnen. Daher empfehle ich den formellen Anschluss der Partei an das »Verbändebündnis Wohnungsbau« aus Vermietern, Mieterbund und Baugewerbe, das unter Berufung auf die gerade am 28. Februar in Berlin vorgestellte Studie des Forschungsinstituts »RegioKontext« bezahlbare Mieten für Haushalte mit mittleren Einkommen anstrebt, die dann preiswerte Wohnungen freimachen würden. Das ist besser als »150 000 Wohnungen mit Sozialbindung« (Programmentwurf der Linkspartei) zu fordern und damit große Teile der Bevölkerung auszuschließen und zu verärgern. Bezahlbare Wohnungen für alle - damit könnte die Linkspartei größere Wählerschichten für sich mobilisieren und als Koalitionspartner für die SPD anstelle der mit der CDU liebäugelnden Grünen unentbehrlich werden.

*Namen geändert

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