Erst muss der Schornstein rauchen

Das bedeutendste Amt der Welt? - Heute beginnt die Wahl des »Stellvertreters«

  • Ingolf Bossenz
  • Lesedauer: 4 Min.

Es handelt sich zweifellos um das luxuriöseste Wahllokal der Welt. Dabei geht es, wenn an diesem Dienstag 115 Kardinäle in Roms Sixtinische Kapelle einziehen, eigentlich nur um die Abstimmung über einen Stellvertreter. Einen Stellvertreter? Den Stellvertreter! Den Stellvertreter Jesu, Christi, Jesu Christi, Gottes ... Egal, wie der Chef auch genannt wird, er ist schon (immer) da, er bleibt, wird nicht gewählt und erst recht nicht abgewählt. Letzteres trifft zwar auch auf den Vize zu, aber der segnet irgendwann das Zeitliche oder lässt sich - Ratzinger macht's möglich - selbst vom Zeitlichen dergestalt segnen, dass er es erkennt wie die Schrift an der Wand und sagt: Es ist Zeit. Zu gehen. Mit Gott. Der natürlich bleibt. Und wieder mal einen neuen Stellvertreter braucht.

Ein Kreislauf, der seit Jahrhunderten die römische Kirche durchzieht wie das Amen deren Liturgie und der offenbar selbst für Nichtchristen, Religionsferne und Gottesverächter einen Rest an mystischer und mirakulöser Ausstrahlung bewahrt hat. In einer Zeit, in der Öffentliches wie Privates gleichermaßen in entblößender und oft entwürdigender Nacktheit zur Schau gestellt werden, in der Exhibitionismus zur Ersatzreligion aufsteigt und in der Abstinenz vor allem den Verzicht auf geistige Mülltrennung bedeutet - in einer solchen Zeit erscheint das klandestine Prozedere unter den Fresken von Michelangelos Jüngstem Gericht weniger als antiquierter Anachronismus, sondern vielmehr als der Widerschein eines Gestern, in dem es noch Geheimnisse gab. Süße, dunkle, schreckliche. Und - natürlich - banale.

Um ein solches banales Geheimnis geht es letztlich auch bei der Wahl eines Papstes. Allerdings heißt der Sieger des Votums am Ende nicht Lindner, Leutheusser-Schnarrenberger oder Zastrow (auch wenn FDP und Vatikan gleichermaßen auf Gelb setzen), sondern Johannes, Clemens oder Hadrian, die entsprechende Ordnungszahl nachgestellt.

Und es gibt eine weitere - entscheidende - Differenz, die das Wirken der Wahltäter in der abgeriegelten Sixtina von denen in profanen Konferenzsälen und Vereinslokalen abhebt. Während in diesen hinter Wichtigwolken und Wortvandalismus der Geist oft nur bedingt aufscheint, ist er in jener unbedingt präsent: Spiritus Sanctus. Heiliger Geist. Er wird ausdrücklich um Assistenz ersucht, bevor die Tore der Kapelle hinter den Purpurträgern dichtgemacht werden. »Veni Creator Spiritus«, »Komm, Schöpfer Geist«, bitten die ins Konklave Einziehenden singend. Denn selbstredend darf, wo es um Gottvater und -sohn geht, der Heilige Geist nicht fehlen. Schließlich bildet er mit Ersteren die Heilige Dreifaltigkeit. Womit der Papst eigentlich auch Stellvertreter des Heiligen Geistes wäre. Eine Dreiecksbeziehung, über die nachzusinnen die internierten Kirchenfürsten reichlich Gelegenheit haben, bevor sie zum Urneneinwurf ihres mit verstellter Schrift ausgefüllten Wahlscheins schreiten. Denn es gibt weder Reden noch Gegenreden. Nur den einsamen Dialog zwischen Wähler und - da ist er wieder - Heiligem Geist. Demokratischer Gottesdienst sozusagen.

Die minutiöse Genüsslichkeit, mit der die Medien derzeit das archaische Zeremoniell einer die Zeiten überdauernden Institution beschreiben, lässt als Motiv nicht nur schlichte Chronistenpflicht vermuten. Es ist wohl nicht zuletzt die Faszination an einem historischen Vorgang, in dessen Ergebnis der Mann mit dem bedeutendsten Amt der Welt von der Mittellogia des Petersdoms »urbi et orbi« seinen Segen spendet.

Bedeutendstes Amt der Welt? Warum nicht? Welches Amt sollte oder könnte es sonst sein? Das des US-Präsidenten? Die Stalin zugeschriebene Frage, über wie viele Divisionen der Papst verfüge, ist spätestens seit dem Zusammenwirken von Johannes Paul II. mit Ronald Reagan obsolet, das maßgeblich zu weltweiten Veränderungen und Verwerfungen beitrug. Päpste machen Geschichte. Oder sie werden deren Gefangene. Wie Pius XII., auf dessen Wort wider die Vernichtung der europäischen Juden einst wirklich die ganze Welt wartete. Vergeblich.

Ob nun bedeutendst oder nicht - das Amt des römischen Pontifex als moralische Instanz ist nicht nur eine Anmaßung (und das ist sie gewiss), sondern auch eine Annahme - angenommen nicht nur von 1,2 Milliarden Katholiken.

Das Reaktionäre, Rückschrittliche, Frauenfeindliche, Sexualpathologische, Diktatorische, Demütigende, geistig Destruierende sollte nicht vergessen lassen, dass der Vorsteher dieser kranken und krisengeschüttelten Institution über Macht, Einfluss und das Potenzial verfügt, diese Welt besser zu machen. Oder eben schlechter.

Die Hoffnung, beim nächsten Papst werde alles anders und natürlich besser, bewegt deshalb Katholiken wie Nichtkatholiken. Wobei dieses Bessere wohl kaum einen klaren Konsens finden dürfte. Um das Papstamt und seinen Inhaber wird auch weiterhin so erbittert gestritten werden wie um keine andere Figur des Zeitgeschehens.

Zeitgeist oder Heiliger Geist? Beide sind so diffus wie unberechenbar. Ob diesmal wenigstens auf Letzteren Verlass ist, wird sich wohl noch in dieser Woche zeigen, wenn der erste Kardinaldiakon der wartenden Welt verkündet: »Habemus papam«.

Zuvor muss allerdings erst einmal der auf das Dach der Sixtinischen Kapelle montierte Schornstein rauchen. Weiß.

Dann hat der Stuhl Petri wieder einen Besetzer. Und der Chef ist nicht mehr allein zugange. Zwar meinte Winston Churchill zu Recht: »Wo Chef und Stellvertreter immer die gleichen Ansichten vertreten, ist einer von ihnen überflüssig.« Aber welcher Stellvertreter wird das zugeben? Der Stellvertreter schon gar nicht.

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