Alle reden plötzlich von Angleichung

Das Rentengefälle zwischen Ost und West wird über Nacht zum Thema

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 3 Min.
Wenige Monate vor der Bundestagswahl entdecken die Parteien, dass die Rentner im Osten immer noch weniger erhalten als die Pensionäre im Westen.

Auf einmal wollen sie alle die schnelle Angleichung der Ostrenten an das Westniveau. Auslöser für das plötzlich erwachte Interesse der Politik war eine Meldung des Bundesarbeitsministeriums vom Mittwoch. Demnach steigen die Altersbezüge zum 1. Juli in den neuen Ländern stärker als im Westen. Während die Rentner östlich der Elbe ein Plus von 3,29 Prozent erhalten, gibt es in den alten Ländern nur 0,25 Prozent mehr bzw. weniger. Denn damit liegt der Rentenanstieg deutlich unter der Inflationsrate. Diese lag im Jahresdurchschnitt 2012 bei zwei Prozent und pendelt derzeit zwischen 1,5 und 1,7 Prozent.

Wenn man so will, dann ist das direkte Folge eines Wahlkampftricks. Die im Wahljahr 2009 eingeführte Rentengarantie sollte offiziell bewirken, dass die Altersbezüge auch dann nicht gekürzt werden, wenn das wegen zurückgehender Gehälter eigentlich geschehen müsste. Die Bundesrepublik befand sich damals mitten in der Wirtschaftskrise. Die Garantie wurde dadurch erkauft, dass man die Rentensteigerungen in den Folgejahren einfach halbierte. Die Ostrentner waren in der Krise aber nicht so sehr auf die Rentengarantie angewiesen wie die Ruheständler im Westen. Dort hatten die Exporteinbrüche auch die Löhne gedrückt. Im weitgehend deindustrialisierten Osten spielte das kaum eine Rolle.

Diese Gemengelage sorgte also am Donnerstag für Diskussionen. So analysierte FDP-Fraktionsvize Heinrich Kolb haarscharf in der »Bild«-Zeitung: »Hätten wir bereits ein einheitliches Rentenrecht, würden die Bezüge im Juli nicht unterschiedlich stark steigen.« Dabei habe Schwarz-Gelb im Koalitionsvertrag eine entsprechende Änderung vereinbart. Allerdings ohne Konsequenzen.

SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück will nun die Renten in Ost- und Westdeutschland angleichen. »Es ist fällig, dass in West und Ost endlich gleiche Renten gezahlt werden«, sagte Steinbrück der »Rheinischen Post«. »Deswegen wird eine Bundesregierung unter meiner Führung die Angleichung der Renten herbeiführen.« Zwei Jahrzehnte nach der Einheit sei es nicht mehr hinnehmbar, dass die Rentner im Osten noch immer einen deutlichen Rückstand aufholen müssten. In Regierungsverantwortung hatte die SPD entsprechende Vorstöße der LINKEN stets zurückgewiesen.

Kritik an Steinbrück kam am Donnerstag von der Linkspartei. »Statt voller Gerechtigkeit fordert die SPD nur eine halbe Angleichung«, bemängelte der rentenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Matthias Birkwald. »Volle Gerechtigkeit erfordert nicht nur gleiche Renten für gleiche Lebensarbeitsleistung, sondern auch eine rentenrechtliche Höherbewertung der bei gleicher Leistung und Tätigkeit geringeren Einkommen in Ostdeutschland«, so Birkwald weiter. Er verwies auf die immer noch eklatanten Unterschiede zwischen Ost und West. Trotz der Anpassung zum 1. Juli erhielten Rentner in den neuen Ländern nach 45 Berufsjahren immer noch 108 Euro weniger, rechnete der Linkspolitiker vor.

Zudem verdienen Ostdeutsche immer noch deutlich weniger als ihre Kollegen im Westen. Dem gewerkschaftsnahen WSI-Institut zufolge lagen die Löhne 2012 um rund ein Viertel unter denen im Westen. Auch das dämpft den Rentenanstieg.

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