Papua-Neuguinea feiert 50 Jahre Unabhängigkeit

Dennoch bleibt die Hoffnung einer gerechten, sicheren und prosperierenden Nation für viele Bürgerinnen und Bürger unerfüllt

  • Barbara Barkhausen, Sydney
  • Lesedauer: 5 Min.
Ein Hoch auf die Unabhängigkeit: Papuas Premierminister James Marape (l.) feiert mit Großbritanniens Prince Edward den 50. Jahrestag.
Ein Hoch auf die Unabhängigkeit: Papuas Premierminister James Marape (l.) feiert mit Großbritanniens Prince Edward den 50. Jahrestag.

Am 16. September begeht Papua-Neuguinea einen historischen Moment: den 50. Jahrestag seiner Unabhängigkeit von Australien. Seit Wochen prangen in der Hauptstadt Port Moresby und in anderen Städten Plakatwände mit Slogans, die zum nationalen Stolz aufrufen, begleitet von Konzerten, Sportereignissen und traditionellen Tanzdarbietungen. Premierminister James Marape, der im April ein Misstrauensvotum souverän überstand, nutzt die Jubiläumsstimmung für sich als Rückenwind.

Für Dame Meg Taylor, ehemalige Generalsekretärin des Pacific Islands Forum und in den 70er Jahren private Sekretärin von Michael Somare, dem »Vater der Nation«, sind die Ereignisse um die Unabhängigkeit mehr als nur Geschichtsstoff – sie sind persönliche Erinnerung an die Anfänge der jungen Nation. »Ich sah in den Gesichtern der Menschen keine Angst«, erinnert sich Taylor an diese Momente. Vielmehr habe sie Neugier und großes Interesse sowie Wärme und Gastfreundschaft gegenüber dem Chief Minister gespürt. Somare sei ein zutiefst empathischer Mensch gewesen. »Er kam schlicht gekleidet in Lava-Lava, Hemd und Sandalen und verbrachte Zeit mit den Menschen, so wie er es auch in seiner eigenen Gemeinschaft im Sepik getan hätte.«

Die Begeisterung war spürbar, doch es gab auch Zweifel: »Haben wir das alle wirklich verstanden? Ich glaube, es gab immer eine gewisse Unruhe. Was hatten wir uns da eigentlich vorgenommen?«, so Taylor.

Ein anderes Land als vor 50 Jahren

Heutzutage zählt Papua-Neuguinea fast zwölf Millionen Einwohner und Einwohnerinnen – mehr als das Vierfache der Bevölkerung zur Zeit der Unabhängigkeit. Die demografische Dynamik ist gewaltig: 60 Prozent der Menschen sind jünger als 25 Jahre. Doch trotz des enormen Wachstums fehlt es der jungen Nation laut Taylor an Perspektiven: »Wenn es an Unterstützung für junge Menschen mangelt und sie keine Zukunftsperspektive sehen, dann hat man alle Zutaten für Unruhen.«

Knapp 40 Prozent leben unter der Armutsgrenze, die Kindersterblichkeit ist etwa zehnmal so hoch wie in Australien. In vielen Regionen fehlen Ärzte, Medikamente und ausgebildete Lehrkräfte. »In den Krankenhäusern gibt es keine Medikamente mehr. Die Schulen sind überfüllt«, berichtet Taylor. In den ersten Jahrzehnten nach der Unabhängigkeit seien Verwaltung und öffentliche Institutionen stabil gewesen – bis die politische Einflussnahme das Gefüge erodierte. Frauen in Führungspositionen seien inzwischen »sehr selten«, und »wer behauptet, es gebe hier Gleichberechtigung – der irrt«.

Port Moresby, einst für lebendiges Nachtleben und ein reges Gemeinschaftsleben bekannt, ist für Taylor ein Sinnbild für den Wandel: »Port Moresby war einst eine großartige Stadt. Doch das hat sich geändert, weil es eine große arbeitslose Bevölkerung gibt, und die sozialen Unterschiede nun viel sichtbarer sind.« Ursache und Folge zugleich sei ein Problem, das sie klar benennt: »Das eine Wort, das wir heute noch nicht angesprochen haben, ist Korruption. Sie steht im Zentrum dafür, warum wir in diesem Land diese Art von Gesetzlosigkeit haben.« Die Forderung nach stärkerer Dezentralisierung wird lauter. Viele Provinzen fühlen sich von der Hauptstadt vernachlässigt.

Laut Oliver Nobetau, Projektleiter des Australia-Papua New Guinea Network am Lowy Institute, birgt aber auch der Umgang mit den regionalen Partnern Risiken für die nationale Einheit: »Wenn man sagt ›Freund aller, Feind von niemandem‹ und keine Entscheidung trifft, lädt man alle ein … und man lädt auch den Konflikt ein.« Taylor sieht das ähnlich und fordert klare strategische Linien: »Freund aller, Feind von niemandem« – das sei ziemlich schwammig, bestätigt sie. Die Zeiten hätten sich geändert, und »wir müssen uns der Lage, in der wir uns befinden, viel bewusster sein.«

Geopolitisches Schachbrett

Australien bleibt wichtigster Partner: Seit 2020 hat Canberra über 3,1 Milliarden australische Dollar (über 1,7 Milliarden Euro) an Entwicklungshilfe geleistet, hinzu kommt ein umfassender Verteidigungsvertrag, der eine enge militärische Integration vorsieht. Parallel finanziert Australien Infrastrukturprojekte, Polizeiausbildung und Sportinitiativen wie den 600-Millionen-Dollar-Vertrag mit der National Rugby League. Doch auch China baut seinen Einfluss massiv aus – mit einem geplanten Freihandelsabkommen, Direktflügen, einer neuen Bank, einem Kasino mit Sonderwirtschaftszone und umfangreichen Infrastrukturprojekten.

Taylors Kommentar zu den militärischen Aktivitäten Pekings in den Gewässern vor Australien und damit auch in nächster Nähe zu Papua-Neuguinea fällt pointiert aus: »Man schickt keine Schiffe und U-Boote um ein Land, nur weil es ein nettes Picknick ist, um zu sehen, welche Wale gerade vorbeischwimmen.« Sie spielt damit auf vielbeachtete Militärübungen Pekings vor der australischen Ostküste Anfang des Jahres an. Für Mihai Sora, Direktor des Pacific Islands Program am Lowy Institute, ist Chinas Verhalten Beweis dafür, warum Australien auch auf nationaler Ebene Sicherheitspartner Nummer eins für Port Moresby bleiben muss: »Die Polizeimethoden, die aus der KP Chinas kommen, stehen für andere Werte – sie dienen dem Schutz des Staates, nicht der Bürger.« In einem pazifischen, demokratischen Kontext hingegen gehe es bei Polizeiarbeit darum, die Gemeinschaft zu schützen, nicht den Staat.

Klimawandel: unterschätzte Bedrohung

Papua-Neuguinea ist jedoch nicht nur mit sicherheitspolitischem Tauziehen, sondern auch mit ökologischen Risiken konfrontiert. Steigende Meeresspiegel bedrohen Küstengemeinden, im Hochland gefährden veränderte Niederschlagsmuster die Ernährungssicherheit. »Für die Inselregionen geht es um steigende Meeresspiegel und die Versalzung unserer Wassersysteme, und im Hochland ist es vor allem ein Problem der Ernährungssicherheit«, erklärt Nobetau.

Trotzdem war das Thema lange kein politischer Schwerpunkt. Fehlende Kapazitäten und Korruption behindern den Zugang zu internationalen Klimafonds – Gelder müssen teils über NGOs beantragt werden, weil staatliche Strukturen als nicht verlässlich gelten.

Bougainville: Einheit oder Trennung?

Überdies fällt der 50. Jahrestag der Unabhängigkeit in eine Phase, in der Papua-Neuguinea selbst einen möglichen Verlust von Staatsgebiet vor Augen hat: Bougainville strebt nach einem klaren Referendumsergebnis von 2019 die Unabhängigkeit bis 2027 an. Für Taylor steht fest, dass nationale Einheit Priorität haben sollte: »Mein Herz ist in der Einheit dieses Landes.« Doch sie respektiert den demokratischen Prozess.

Trotz Armut, Korruption, Gewalt und geopolitischer Spannungen bleibt die Hoffnung bestehen, dass Papua-Neuguinea seine kulturelle Vielfalt und natürlichen Ressourcen zum Wohl aller nutzen kann. Taylor formuliert es als Auftrag an Politik und Gesellschaft: »Es braucht verpflichtete Führungspersönlichkeiten – und Bürger, die keine Angst haben, ihre Stimme zu erheben.«

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