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Die entweihte Kirche

Quedlinburg dokumentiert Missbrauch von St. Servatius durch Himmler und die SS

  • Uwe Kraus, Quedlinburg
  • Lesedauer: 3 Min.
Am Grabe Heinrich I. sollte vor 75 Jahren eine NS-Weihestätte entstehen. Daran erinnert nun eine Ausstellung in der Stiftskirche St. Servatius in Quedlinburg (Sachsen-Anhalt).

»Die entweihte Kirche« heißt eine jetzt eröffnete Ausstellung in Quedlinburg. Sie erinnert an ein besonders schmerzendes geschichtliches Ereignis: die Vertreibung der Kirchengemeinde der Stiftskirche Quedlinburg aus ihrem Gotteshaus durch die SS vor 75 Jahren. Am Ostermontag 1938 feierte die Gemeinde in der Stiftskirche ihren letzten Gottesdienst. Dann übernahm die SS die Schlüsselgewalt. SS-Führer Heinrich Himmler wollte den Ort des Grabes von Heinrich I. zu einer Kult- und Wallfahrtsstätte machen.

Kreuz abgehängt

Ohne Wissen und Mitwirkung der Gemeinde sei der Vertrag über die künftige Nutzung der Kirche geschlossen worden, erläutert der heutige Pfarrer Ekkehard Steinhäuser. Die Kirchenführung sei der Gemeinde in den Rücken gefallen, die Denkmalpfleger hätten mit den braunen Machthabern paktiert. »Das Kreuz wurde abgehängt, die Bibeln verschwanden, vom Turm der Kirche wehten die Fahnen der SS«, sagt Steinhäuser. Erst im April 1945 bekam die Gemeinde durch Vertreter der US-Armee die Schlüssel zurück, so dass am 3. Juni 1945 wieder ein Gottesdienst gefeiert werden konnte.

Die Stiftskirche war vor mehr als 1000 Jahren als »Kathedrale des Reichs« erbaut worden, dort nahmen einst Kaiser und Könige an Gottesdiensten teil. Die Sonderschau gibt einen Einblick in die Geschichte. Sie reicht von Heinrich I. über den Staatsakt der NS-Prominenz am 2. Juli 1936 zu dessen 1000. Todestag, die Entweihung und Vertreibung bis hin zum Aufbau eines NS-Kulttempels. Neben Text- und Fotomaterial werden in Vitrinen die Rede Himmlers, das Programm zur 1000-Jahr-Feier und Briefe gezeigt. Dazu kommen Originaltagebücher des damaligen Pfarrers der Stiftskirche.

Pfarrer Steinhäuser, Theologischer Vorstand der Domschätze Halberstadt und Quedlinburg, publiziert zur Ausstellung ein gleichnamiges Buch, für das bisher unerschlossenes Archivgut genutzt wurde. Es dokumentiert die Verstrickungen bei der »feindlichen Übernahme der Gotteshauses«. In den Archiven fand Steinhäuser die Schriftwechsel des damaligen Superintendenten Johannes Schmidt, des Konsistoriums in Magdeburg und des Oberkirchenrats in Berlin mit den Reichsbehörden beziehungsweise der SS. In diesen Akten werde deutlich, was sich von Juli 1936 bis zur der Vertreibung der Kirchengemeinde abspielte.

Widerstand war Ausnahme

Die Ausstellung »Die entweihte Kirche« konzipierte der Historiker Steffen Jindra. Der Filmemacher unterstreicht, dass »keine dunkle Macht plötzlich auf Quedlinburgs Stiftskirche hinunterstürzte, niemand wurde mit Peitschen getrieben. Es war kein Alleingang Himmlers. All das gelang nur, weil alle an einem Strang zogen.« Der Großteil der Quedlinburger habe den Tätern zur Seite gestanden oder ließ »es lethargisch geschehen«, so Jindra. »Widerstand war in Quedlinburg die absolute Ausnahme.« Was damals an der Stiftskirche geschah, sei »ein Drama ohne Helden« gewesen. »Hier mischten sich Täter, Opportunisten, Mitläufer und Gleichgültige.«

Der Ausstellungsmacher stellt klar, dass diese Entweihung symptomatisch gewesen sei. »All das hatte eine Vorgeschichte, und es gab ein Nachspiel.« Heinrich I. sei bereits im 19. Jahrhundert als Reichsgründer und Kolonisator des Ostens stilisiert worden. Nach 1945 seien Nazi-Symbole aus der Kirche entfernt worden, aber »selbst die DDR sah keinen Anlass, die pseudogermanischen Umbauten, die sich auf die Romanik beriefen, rückgängig zu machen«, erklärt Jindra.

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