Vertreibung aus dem Paradies

Auf Hiddensee gehören viele Grundstücke der Stadt Stralsund - Einheimische stöhnen unter der Last der Pachtgebühren

  • Martina Rathke, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.
Wenn ein Bewohner von Neuendorf auf der Ostseeinsel Hiddensee den Fuß über die Türschwelle setzt, betritt er Grund im Besitz der Stadt Stralsund. Die historisch begründeten Eigentumsverhältnisse nutzt die Stadt zur Erhebung hoher Pachtgebühren. Das sorgt für Streit, auch vor Gericht.

Stralsund/Hiddensee. Weiß gekalkte Häuser auf sattgrünen Wiesen ohne Zäune: Der denkmalgeschützte Ort Neuendorf auf der Ostseeinsel Hiddensee in Mecklenburg-Vorpommern ist für Urlauber ein beliebtes Fotomotiv. Teilweise in vierter Generation wohnen die Hiddenseer in ihren eigenen Reethäusern. Doch die Grundstücke, die unmittelbar an die Immobilien grenzen, gehören nicht ihnen. Seit Jahren liegen die Hiddenseer deshalb mit Stralsund im Streit, der am Montag vor dem Landgericht in eine neue Runde ging.

Grund sind die kuriosen Eigentumsverhältnisse: Mitte des 19. Jahrhunderts verkauften die Mönche des Stralsunder Klosters des Heiligen Geistes die Grundstücke unter den Fundamenten an die Einheimischen. Die unmittelbar an die Häuser grenzenden Grundstücke blieben weiter im Besitz des Klosters und gehören heute je zur Hälfte der Stadt Stralsund und der Gemeinde Hiddensee.

Seit 2009 sehen sich die Neuendorfer mit Pachtforderungen aus Stralsund konfrontiert, die sie nach eigenen Angaben überfordern. Das Wort »Wucher« macht die Runde, weil Stralsund die Pachtgebühren für die unmittelbar an die Häuser angrenzenden Grundstücke teilweise um das 15-fache nach oben trieb. 79 Verfahren sind inzwischen vor dem Amtsgericht Bergen und dem Landgericht Stralsund anhängig. »Stralsund hat sich in den vergangenen Jahren schick gemacht und wir sollen jetzt dafür Stralsunds Stadtkasse füllen«, sagte Karsten Siebler, einer der betroffenen Insulaner. Er hat entnervt aufgegeben und wird rückwirkend für die vergangenen vier Jahre die hohen Pachtgebühren zahlen. »Es hat keinen Zweck. Die Gerichtskosten laufen aus dem Ruder. Irgendwann kann man nicht mehr.« Bei den Hiddenseern liegen die Nerven blank, die Hausbesitzer treibt die Angst um. Zwischen 700 bis zu 3000 Euro sollen sie rückwirkend ab 2009 als jährliche Pacht entrichten.

Für viele Familien bedeutet das den Ruin: Heidrun Hein heiratete nach Stralsund, doch geboren wurde sie auf Hiddensee - wie ihre heute 83-jährige Mutter, die wie einst deren Vorfahren in einem der betroffenen Häuser lebt. 1800 Euro Pacht verlange die Hansestadt Stralsund von der Rentnerin - pro Jahr, sagt Hein. Die Stadt - eine Kommune mit klammem Haushalt und deshalb auf die Erschließung von Geldquellen angewiesen - bleibt hart. Vor Gericht lehnte Stralsund eine außergerichtliche Lösung ab. Zu dem neuen außergerichtlichen Güteangebot, das die Inselgemeinde der Stadt vor zwei Wochen vorlegte und das den Kauf eines drei Meter breiten Streifens um die Häuser vorsieht, gab es keinen Kommentar.

Nach der Wende zahlten die Hiddenseer für ihre Pachtgrundstücke umgerechnet 26 Cent pro Quadratmeter. Doch inzwischen erhebt Stralsund ein Nutzungsentgelt von 3,25 bis 3,75 Euro pro genutztem Quadratmeter Grundstücksfläche. Die Stadt begründet die Anhebung mit einem Gutachten. Doch die Berufungszivilkammer am Stralsunder Landgericht äußerte Zweifel an den zugrunde gelegten Verkehrswerten von 80 Euro je Quadratmeter: Für die unmittelbar an die Häuser grenzenden Grundstücke gebe es keinen Mark, die Sachverständigen seien möglicherweise von falschen Prämissen ausgegangen.

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