Das Kabinett im Kabarett

Neues Stück in der Distel: »Die Kanzlerflüsterer«

  • Anouk Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

Dass Angela Merkel und ihre Regierung nicht alleine ihre poltischen Entscheidungen treffen, weiß man. Doch wer zieht eigentlich die Strippen im Kanzleramt, wer sind all diese Berater? Das neue Distel-Programm »Die Kanzlerflüsterer«, das heute Premiere feiert, wirft einen satirischen und durchaus kritischen Blick auf den »Inner Circle«, auf dessen Taktiken und Ablenkmanöver. Im gewohnten Revue-Mix aus Live-Songs, witzigen Szenen und Lehrstunde wird diesmal der harte Gegensatz zwischen der Elite im Elfenbeinturm der Politik und der Alltagswelt der Normalbürger aufs Korn genommen.

Im Mittelpunkt des Stücks (Buch und Regie: Martin Maier-Bode) steht der von Edgar Harter gespielte Alexander Dosbach, Chefberater der Kanzlerin: »Steffen Seibert ist mein ausführendes Organ, sozusagen meine Grinsekatze. Der wird fürs Lächeln bezahlt, das Denken übernehme ich.« Für jede Krise, jeden Skandal hat der silberhaarige Oldie eine vorbereitete Pressemeldung in der Schublade, Negativschlagzeilen kontert er gerne mit einer gefühlsseligen Home-Story oder rät im Ernstfall, wie nun bei Bayern-Chef Hoeneß, zur Salamitaktik: »Soll alles nur scheibchenweise zugeben. Sollte ihm als Wurstfabrikant ja nicht schwer fallen.« Doch nach einer feucht-fröhlichen Nachmittagsfeier genügen ihm all die vorsorglichen Statements, die Statistiken und Diagramme plötzlich nicht mehr. Zum Entsetzen seiner Sekretärin macht Dosbach sich spontan auf die Suche nach dem Wähler, dem unbekannten Wesen - zu Fuß!

Und stößt auf seiner Odyssee nicht nur auf einen türkischstämmigen Taxifahrer, der sich wegen seines Brandenburger Kennzeichens nicht traut, Fahrgäste aufzunehmen, sondern auch auf weitere seltsame Figuren: einen Dieb, dem der Politberater erst mal die Kunst des Ausraubens beibringt (»Überfall, Reformen, Steuern - ist doch alles dasselbe!«), ein junges Elternpaar, dessen Frau sich bitter über die Elternzeit beklagt, da ihr Soldatenmann auch gegenüber dem Säugling nicht aus seinem Befehlsjargon findet, und, nach einem Unfall am Fahrkartenautomaten, auf zwei Ärzte, die ihn nach diversen (überflüssigen) Untersuchungen in ein Altersheim überweisen, in dem das Motto lautet: »Am Lebensabend muss halt auch irgendwann das Licht ausgeknipst werden«.

Wie der arrogante alte Polithase auf der Straße mit den Fehlentscheidungen seiner eigenen Regierung konfrontiert wird, ist weitgehend pointensicher und mit viel Witz erzählt, trotz einiger Hänger im zweiten Teil. Darstellerisch und gesanglich ergänzt sich das bewährte Trio Edgar Harter, Caroline Lux und Timo Doleys bestens. Einige Klischees sind aber doch arg dick aufgetragen: Ist das Telefonat der Sekretärin mit dem so redseligen wie weinerlichen Kölner Wachmann noch zum Schmunzeln, wird im Schwaben-Seminar so ziemlich jedes Vorurteil hervorgezerrt - Biobäcker, Brottrunk und Kehrwoche inklusive. Und auch die Erkenntnisse der Mitmach-Lehrstunde zum Thema Parteiendemokratie fallen eher mager aus, im Gegensatz zu den wirklich erhellenden Informationen über Lobbyismus und die vielen Goldmann-Sachs-Berater, die sich nicht nur in der deutschen Regierung tummeln, nach der Pause.

Während Caroline Lux die harten Fakten referiert, darf Edgar Harter im Glitzeranzug den Zauberkünstler geben - und demonstriert damit meisterhaft die Kunst der Ablenkung, die Merkels Regierung wie kaum eine andere beherrscht. Vorwärtsgetrieben wird das Programm von schmissigen Live-Songs, durchweg bravourös gespielt und gesungen.

Insgesamt solides Kabarett, dem man das eine oder andere biedere Stereotyp gerne verzeiht - erst recht, wenn als Zugabe der »Junge«-Song von den Ärzten mit »Angie«-Text erklingt: »Wie du wieder aussiehst, hochgezog’ne Schultern … Und immer diese Reden, die will doch keiner hör’n!«

Premiere heute, 20 Uhr. Weiter am 26./29./30.4., 1.-3.5., 6.-10.5., 20 Uhr, am 27.4. und 4./11.5. auch 17 Uhr, Folgetermine unter www.distel-berlin.de. Die Distel, direkt am Bahnhof Friedrichstraße, Mitte, Tel.: (030) 204/47/04)

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