Heartfields Sommeridyll

Das 52. Buntbuch

  • Klaus Bellin
  • Lesedauer: 2 Min.

Brecht war alarmiert. John Heartfield, der Freund und legendäre Begründer der politischen Fotomontage, 1950 aus dem englischen Exil nach Leipzig zurückgekehrt und als sogenannter Westemigrant »verräterischer Verbindungen« zu westlichen Geheimdiensten verdächtigt, lag nach seinem zweiten Herzinfarkt im Krankenhaus, zermürbt von Verleumdungen, Misstrauen und Unterstellungen. »Liebster Johnny«, schrieb Brecht im Dezember 1952, »Du solltest dieses absurde Leipziger Klima endlich mit dem berühmt guten hier vertauschen. Wie ist es damit? Sollen wir uns in der Nähe Berlins umschauen? Wäre so was wie Buckow zu weit weg (60 km)? Hier käme man auch zu einigen Gesprächen am Kamin.«

Heartfield, kaum wieder auf den Beinen, ließ sich nicht zweimal bitten. 1953 kam er in die Märkische Schweiz, er sah sich um, war begeistert und blieb länger als geplant, aber dann wurde es doch nicht Buckow, sondern, nur ein paar Kilometer entfernt, Waldsieversdorf, ein idyllisches Fleckchen am Ufer des Großen Däbersees, auf dem später unter hohen Kiefern ein einfaches Sommerhaus gebaut wurde. Bis zu seinem Tod im April 1968 verbrachte Heartfield hier mit seiner Frau Gertrud die warmen Monate des Jahres.

Das Häuschen gibt es noch immer. 2010 saniert, ist es heute, betreut vom Freundeskreis John Heartfield Waldsieversdorf, Erinnerungs- und Begegnungsstätte, die von Mai bis Oktober Besuchern offen steht. Es ist beinah alles so, wie es einmal war. Dominierend das stimmungsvolle, fast originalgetreu wiederhergestellte Kaminzimmer, ein Raum mit alten Möbeln, großen Fenstern und Blick auf den See. Die beiden anderen Zimmer beherbergen eine Ausstellung mit Dokumenten und Buchumschlägen.

Heartfield liebte den Ort, und das Publikum, das sich am Wochenende in seinem Garten zu einer Buchpremiere versammelte, konnte ihm diese Liebe mühelos nachfühlen. Die Sonne schien, und es war warm, als das 52. Frankfurter Buntbuch vorgestellt wurde, dreißig Seiten über einen singulären Künstler und sein Domizil in der märkischen Stille, ein eindrucksvolles, grafisch liebevoll gestaltetes Heft, verfasst von Michael Krejsa. Hier, in diesem bescheiden-schönen Büchlein, tritt Heart-field endlich aus dem Schweigen, das ihn heute umgibt, und wird sichtbar wie schon lange nicht mehr. Die Buntbücher, herausgegeben von Wolfgang de Bruyn und Hans-Jürgen Rehfeld, bislang nur Schriftstellern gewidmet, haben sich neues Terrain erschlossen. Und mit Heartfield gleich einen wunderbaren Anfang gemacht.

Michael Krejsa: Ein Freund der unbefestigten Wege. John Heartfield in Waldsieversdorf (1953- 1968), Frankfurter Buntbücher 52, Verlag für Berlin-Brandenburg, 32 S., br., 8 Euro.

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