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Brennende Bücher

Was 1933 verboten wurde, stört noch immer. Eine Polemik

  • Ewart Reder
  • Lesedauer: 5 Min.

Seit Goldhagen weiß man: Hitlers Vollstrecker waren willig. Wenn der Führer zu langsam war, fällten sie die Urteile selbst. Deutschlands Literatur wurde von Studenten, genauer der »Deutschen Studentenschaft«, noch genauer deren 1931 frei gewählter NS-Führung zum Tod auf dem Flammenstoß verurteilt. Die »Schuldigen« vorher auf Schwarzen Listen erfasst hatte Wolfgang Herrmann, ein Bibliothekar. Was erklärt, warum so mancher Lieblingsfeind der Nazis auf der Liste fehlt: Erich Mühsam, Franz Jung, Hermynia zur Mühlen und viele Linke haben es schon zur Weimarer Zeit kaum in öffentliche Bibliotheken geschafft.

Sie brannten trotzdem am 10. Mai 1933, zehn Wochen nach dem Reichstag, den ein Siebenjähriger von seiner Wohnung am Anhalter Bahnhof aus brennen sah. Der Junge wurde Soldat, nach dem Krieg Industriekaufmann. Seine besten Jahre widmete er Büchern. Als »Anwalt der verbrannten Dichter«, wie die Presse ihn taufte, tourte er durch das vereinte Deutschland und las, laut und mitreißend, aus seinem Schatz vor, einer Bibliothek der Moderne. Voriges Jahr hat er sie mir geschenkt. Danke, Arnim Reinert.

Bücher haben keine Hände, die man fesseln, keine Familie, die man bedrohen kann. Die Verfasser traf es härter - jüdische Dichter, schreibende Revolutionäre, volksnahe Alleinunterhalter, Männer und Frauen. Sie mussten fliehen, solange sie konnten ... Sie verloren ihre Heimaten, erst Deutschland, dann Österreich, Tschechien und die anfangs gewählten Zufluchten. Wie Wolfgang Frühwald unter Bezug auf Grimms Wörterbuch betont, kam ihnen mit der »Heimat« ein Großteil der existenziellen Grundsicherung abhanden. Notgedrungen »haben die deutschen Intellektuellen im Exil versucht, in dem letzten ihnen verbliebenen Element, in Sprache und Kultur, Heimat zu finden und zu bewahren.«

Während in den Köpfen der Flüchtigen ein neuer Kontinent entstand, brannte der zurückgelassene bis auf die Schutzkeller aus. Im besiegten Deutschland war nachher nichts wie vorher, am wenigsten die Literatur. Man las nicht das, was vor 1933 gefallen und gegolten hatte, holte nicht nach, was im Exil entstanden war.

Die Begleiter der Nazijahre blieben die Einbläser des westdeutschen Publikums. Im Osten hielt der sozialistische Realismus dagegen. Etliches 1933 Verbrannte kam dabei zur Geltung, das Exil als solches zu antifaschistischen Ehren. Als »Formalismus« und »dekadent« galt hingegen diejenige Literatur, die ihre Mittel radikal erneuert hatte. Manche Werke erlebten ihre Neuauflage ideologisch revidiert. In der Aufbau-Fassung von 1957 verlor Leonhard Franks Erzählband »Der Mensch ist gut« seine christlichen Anklänge - mit Zustimmung des Autors, wie angemerkt sei. Es stimmt, die Vertriebenen hatten in der DDR mehr Rückhalt als im Westen. Von Peter Huchel mit der Zeitschrift »Sinn und Form« und dem Verlag Rütten & Loening kam mehr Unterstützung für Döblin als von dessen westdeutschen Verlagen. Trotzdem: Deutschland insgesamt hatte nach 1945 eine »Behelfsliteratur«. Die alte, die eigene kehrte nicht zurück. Sie verlor ihren bestimmenden Einfluss auf die Kunstentwicklung und auf die öffentliche Debatte.

Dieser Bedeutungsverlust wirkt nach bis heute. »Das Buch der verbrannten Bücher«, mit dem FAS-Feuilletonchef Volker Weidermann seinen Gegenstand zu rehabilitieren vorgab, urteilt Hermann Kesten ein zweites Mal ab: »Seine Romane taugen nicht viel ... Kesten war also kein großer Romanautor.« Ist Joseph Roth anderer Meinung, schreibt Weidermann: »Man merkt bei Roth ja immer, wenn er mal die Wahrheit verbiegt.« Roth habe »Kumpelkritiken« geschrieben für Kesten, so Weidermann - kumpelhaft. Und wer nicht auf Wolfgang Herrmanns Schwarzer Liste stand, über den schreibt Weidermann erst gar nicht.

Kafka, Döblin, Roth, Kesten, Keun, Seghers, Lasker-Schüler, die Brüder Mann und ein Dutzend mehr sind das Beste, was die deutschsprachige Literatur zwischen Georg Büchner und Herta Müller bietet. Dazu herablassend kann sich nur eine Kritik verhalten, die den Maßstab verloren hat.

Die Genannten vollbrachten vier epochale Leistungen. Sie erfanden, erstens, die Mittel für ein von Konvention und Konfektion befreites Schreiben. Belege: Döblin, Brecht. Sie demokratisierten zweitens die Schreibkunst. Mit »November 1918« gab Döblin den demokratischen Deutschen, Ost und West, ihr Nationalepos. Sie kennen es nicht? Sie sollten es kennen lernen. Drittens erfasste und umfasste jenes Schreiben die Welt. Werfel, Thomas Mann, Brecht kamen zum Nil, zum Ganges, zum Jangtse. Döblin, der da überall schon war, entdeckte Amerika von hinten, gründete am Amazonas sein »Land ohne Tod«.

Zum Vierten und Wichtigsten: Die Dialektiker des Exils fanden Bewegungsgesetze der Welt, ihrer Wandelbarkeit. Bis heute richtet sich gute Literatur daran aus, nicht weniger als an dem Neuen, dem Bahnbrechenden. Mit dem Literaturwissenschaftler Konrad Feilchenfeldt sei Goethes »Stirb und Werde« als Formel ausgesprochen, die Bücher wie »Das siebte Kreuz«, »Lotte in Weimar« oder »Die Kinder von Gernika« (Kesten!) miteinander verbindet, die einen gemeinsamen, so komplexen wie lebensvollen Sprachinnenraum aufschließt.

Da stehen sie, die Bücher, in meinem Zimmer, richten brennende Blicke auf mich. Wie sagte Kästner: »Brennende Häuser werden nicht dadurch gelöscht, dass man in eine andere Richtung guckt. Genauso ist es mit brennenden Fragen.« Die Bücher der Moderne sind stärker als der Blick, der sich vor achtzig Jahren von ihnen abwandte.

Ewart Reder wurde 1957 in Berlin geboren und lebt in Frankfurt am Main. Seit 1998 arbeitet er als Schriftsteller und Literaturkritiker. 2012 erschien im Horlemann Verlag, Berlin, sein Romandebüt »Die Liebeslektion«. Es erzählt davon, »woraus Gewalt erwächst und wie ihr zu begegnen wäre« (Anton Jakob Weinberger, FAZ).

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