Umsiedelung oder Vertreibung?

Erster Verhandlungstag am Verfassungsgericht zum Braunkohletagebau Garzweiler II

  • Marcus Meier
  • Lesedauer: 3 Min.
Ganze Dörfer wurden und werden für den Braunkohletagebau Garzweiler II des Energiekonzerns RWE umgesiedelt. Dient die Zerstörung sozialer Gemeinschaften, der Landschaft und des Klimas tatsächlich dem Allgemeinwohl und istsie daher grundgesetzkonform? Darüber soll das Bundesverfassungsgericht urteilen.

Am Dienstagvormittag begann in Karlsruhe die höchstrichterliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Enteignungen zugunsten des Braunkohletagebaus Garzweiler II bei Mönchengladbach. Es gehe darum auszuloten, inwieweit Grundrechte vor Enteignungen schützen können, kündigte der Vorsitzende Richter Ferdinand Kirchhof an. Dabei komme es wesentlich darauf an, in welchem Maß die Braunkohleförderung dem Allgemeinwohl diene.

Verfassungsbeschwerde erhoben hatten der Anwohner Stephan Pütz sowie der nordrhein-westfälische Landesverband des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND). Beide Beschwerdeführer sehen ihre Grundrechte durch eine Enteignungsmaßnahme verletzt. Derweil erlaubt das Bergrecht seit der Nazi-Zeit Zwangsenteignungen, sofern sie »dem Wohle der Allgemeinheit« dienen.

Namens der Bundesregierung verteidigte Wirtschaftsstaatssekretär Stefan Kapferer (FDP) die bisherige Rechtspraxis. Braunkohle trage immer noch erheblich zur Energieversorgung bei, ein Verzicht darauf sei »daher nicht denkbar«. Deutschland sei auf eine sichere Rohstoffversorgung angewiesen, schloss sich für die rot-grüne Landesregierung Staatssekretär Günther Horzetzky der braunkohlefreundlichen Haltung der Bundesregierung an.

Die beiden höchstrichterlichen Entscheidungen betreffen insbesondere jene gut 7000 Menschen, deren Häuser, Dörfer und Gemeinschaften den gigantischen Baggern weichen sollen - ein Vorgang, der je nach Standpunkt als Umsiedelung oder als Vertreibung klassifiziert wird.

Das Gerichtsverfahren könnte weite Kreise ziehen: falls die Verfassungsrichter auch eine Reform des Bergrechts einfordern, um die Position von Bürgern zu stärken, denen eine Zwangsenteignung im Zusammenhang mit Rohstoffförderung droht. Das ist zumindest die Hoffnung des BUND, der das Bergrecht in seiner jetzigen Form für anachronistisch, undemokratisch und zu konzernfreundlich hält.

Auf die Füße treten würden die Richter gegebenenfalls nicht nur dem RWE-Konzern, der im Rheinischen Braunkohlerevier neben Garzweiler zwei weitere großflächige Braunkohletagebaue sowie mehrere -kraftwerke betreibt, sondern insbesondere auch dem Konkurrenten Vattenfall mit seinen Braunkohleengagements in der ostdeutschen Lausitz.

Formell klagt der BUND gegen die Enteignung eines Grundstücks, auf dem sich eine Obstwiese befand. Die Beschwerde ist offensichtlich motiviert durch eine grundsätzliche Kritik an Förderung und Verstromung von Braunkohle. Diese führe zur Zerstörung von Klima, Landschaft und sozialen Gemeinschaften, argumentiert der Umweltverband.

Der Hauseigentümer Stephan Pütz, noch wohnhaft in Erkelenz-Immerath, sieht durch die drohende Zwangsenteignung und den Abriss seines Hauses sein »Recht auf Heimat« bedroht, das er aus dem grundgesetzlich verankerten Recht auf Freizügigkeit ableitet.

Die von Vertreibung Betroffenen würden gegen ihren Willen ihren Lebensmittelpunkt verlieren, argumentierte Rechtsanwalt Dirk Teßmer, der beide Kläger vertritt. »Man kann sich nicht vorstellen, welche Belastungen damit verbunden sind.«

Das Verfassungsgericht will seine Aufgabe ernstnehmen. Die Richter haben 40 Sachverständige aus Verwaltung, Wissenschaft, Politik und Wirtschaft geladen. Mit einer Entscheidung der Verfassungsrichter wird in einigen Wochen gerechnet.

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