Arzneitests an DDR-Patienten

Hysterie und Ignoranz keine Grundlage für Geschichtsaufarbeitung

  • Silvia Ottow
  • Lesedauer: 2 Min.

Gegen die Verurteilung von DDR-Medizinern wegen ihrer Beteiligung an Arzneimittelprüfungen westlicher Firmen in DDR-Krankenhäusern wendet sich der Prof. Stephan Tanneberger, einer der führenden Krebsspezialisten der DDR. Die Studien seien ein »notwendiger Bestandteil jeder Arzneimittelentwicklung«, sagte Tanneberger nd-Interview.

Sie erfolgten nach gesetzlichen Standards, die Probanden wurden über die Risiken informiert und ihre Zustimmung eingeholt. Stephan Tanneberger leitete in der DDR das Zentralinstitut für Krebsforschung, an dem gemeinsam mit einer japanischen Pharmafirma ein onkologisches Medikament erforscht wurde.

Studie soll Aufklärung bringen

Seit der »Spiegel« vor einigen Wochen über »Medikamententests« westlicher Pharmahersteller in der DDR berichtete, ist das Thema wieder einmal in aller Munde.

Verschiedene Veröffentlichungen nennen unterschiedliche Zahlen beteiligter Kliniken, Firmen und Patienten. Einige Medien schrecken nicht davor zurück, Menschen vorzustellen, die widersprüchliche Geschichten erzählen, und einfach nur glauben, vielleicht ein Proband gewesen zu sein, den man ohne sein Wissen zur Versuchsperson gemacht hatte. Im Text eines seriösen Nachrichtenmagazins heißen solche Personen schnell Versuchskaninchen  – ein Begriff, mit dem im Zusammenhang mit Arzneimittelstudien, die man heute durchführt, eher vorsichtig umgegangen wird.

Viel Geheimniskrämerei ist im Spiel, obgleich eine Untersuchungskommission in Berlin bereits 1991 einen detaillierten Bericht über die Arzneimittelprüfungen erarbeitet, den man nachlesen kann. Auch an der Universität Greifswald wurde zu diesem Thema geforscht, so dass es durchaus Erkenntnisse gibt, auf denen man aufbauen könnte. Forscher des Instituts für Medizingeschichte an der Berliner Charité gaben nun gestern bekannt, dass sie am 15. Juni mit einer Studie zur Aufklärung von Arzneimitteltests westlicher Pharmaunternehmen in der DDR beginnen.

Die Forschung werde maßgeblich vom Ost-Beauftragten der Bundesregierung, Christoph Bergner (CDU), finanziert. Seine dem Bundesinnenministerium zugeordnete Stelle übernehme rund 70 Prozent der Kosten, hieß es gestern. Wie viel die Studie voraussichtlich kosten wird, war zunächst nicht zu erfahren.

Bergner führte ein erhebliches Interesse der Bundesregierung an einer gründlichen und umfassenden Aufklärung des Sachverhaltes an. Die Wissenschaftler sollen alle Arzneimittelversuche im Auftrag von Westfirmen in der DDR im Zeitraum von 1961 bis 1990 erfassen und ausgewählte Fallstudien sichten. Das Projekt ist auf zweieinhalb Jahre angelegt. An der Finanzierung beteiligen sich nach Angaben Bergners zudem die Bundesstiftung Aufarbeitung, die Bundesärztekammer und einzelne Landesärztekammern, der Verband der forschenden Arzneimittelhersteller, der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie sowie die Bundes- und Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen. (Silvia Ottow)

Die Ergebnisse wurden damals am Krebsforschungszentrum Heidelberg vorgestellt und in einem international beachteten Buch zusammengefasst. Auch in einer Untersuchung des Lehrstuhls für Geschichte an der Universität Greifswald habe man sich vor einigen Jahren mit dem Thema beschäftigt und alle Fakten über solche Arzneimittelprüfungen in der DDR dokumentiert, so Tanneberger.

Der Experte bezeichnete die Hysterie und die Ignoranz, mit der man dieses Thema heute in der Öffentlichkeit behandele, als erschreckend. Er schließt nicht aus, dass damit die guten Erfolge der Krebsmedizin in der DDR vergessen gemacht werden sollen.

In der DDR seien - gemessen an der Gesamtbevölkerung - zehn Prozent weniger Menschen an Krebs gestorben als in der Bundesrepublik, so Tanneberger. Tanneberger lehrt heute an der Universität Bologna, beschäftigt sich mit der Behandlung krebskranker Menschen in Entwicklungsländern, gründete ein Friedenszentrum in Anklam (Mecklenburg-Vorpommern) und ist als Buchautor tätig.

Lesen Sie das Interview am 7. Juni in "neues deutschland".

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