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Warum die Währungsunion scheitert

  • Lucas Zeise
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Finanzjournalist Lucas Zeise hat die Ende 2012 eingestellte »Financial Times Deutschland« mitgegründet. Sein letztes Buch »Euroland wird abgebrannt« erschien bei PapyRossa.
Der Finanzjournalist Lucas Zeise hat die Ende 2012 eingestellte »Financial Times Deutschland« mitgegründet. Sein letztes Buch »Euroland wird abgebrannt« erschien bei PapyRossa.

Wozu wurde der Euro geschaffen? Hatte es politische Gründe? Sollte Deutschland eingebunden werden? Ist der Euro gar ein Friedensprojekt? So beliebte es Helmut Kohl darzustellen und selbstverliebt mit den Augenlidern zu klappern. Das mag alles eine Rolle spielen. Diese politischen Erzählungen, wie man heute sagt, weil es sich eben nicht um rationale Argumente sondern Mythen handelt, waren genau das: schmückendes, rationalisierendes Beiwerk. Die Wirklichkeit ist trivialer, nämlich ökonomisch.

Ein einheitlicher Binnenmarkt in Europa ist nicht wirklich hindernisfrei, solange es verschiedene Währungen gibt. Hinter abwertenden Währungen können sich die Schwächlinge verstecken und ihre Heimatmärkte vor den großen Spielern schützen. Ohne einheitliche Währung gibt es nicht den wirklich freien Markt, auf dem die Starken ihre Stärken ausspielen und die Schwachen verdrängen können. So ist es denn auch kein Wunder, dass die großen deutschen Unternehmen, dass der Bundesverband der Deutschen Industrie und alle (west)-deutschen Regierungen ohne Wenn und Aber die Europäische Währungsunion entschieden befürwortet haben und befürworten. Und selbst dann, wenn diese Union den deutschen Steuerzahler eine Menge Geld kosten sollte.

Warum haben die Unternehmen und Regierungen der Schwachwährungsländer, die Italiener, Spanier, Griechen und Portugiesen, sich dem Euro angeschlossen? Sie wussten, dass sie ihre Heimatmärkte den Exporteuren aus dem nördlichen Europa ausliefern würden. Der Grund ist einfach. Mit dem Euro galt auch in diesen Ländern plötzlich eine starke, nicht mehr abwertungsverdächtige Weltwährung. In der Einführungsphase des Euro sanken die Zinsen, Finanzkapital drängte nach Südeuropa, um am dort ausbrechenden Kredit- und Immobilien-Boom teilzunehmen. Deutschland dagegen erlebte Kapitalflucht und nach dem Aktien-Crash 2000 bis 2003 die bis dato längste Stagnationsperiode der Nachkriegsgeschichte. Das Kapital fliehe das Land, analysierten damals die Wirtschaftsforscher, Arbeitgeberverbände, Medien, Regierung und Opposition, weil der Arbeitsmarkt verkrustet und die Gewinne einer Anlage in Deutschland deshalb zu niedrig, jedenfalls aber niedriger als in Spanien, USA oder Griechenland seien.

Der damalige Kanzler Gerhard Schröder nutzte die Misere dazu, die von den Unternehmensverbänden lange schon geforderte staatlich betriebene Lohndrückerei, genannt Agenda 2010, durchzuziehen. Das senkte die Kosten der deutschen Unternehmen weiter und verschaffte ihnen weitere Marktanteilsgewinne auf dem europäischen Binnenmarkt. Als störend wurde das Ganze aber erst empfunden, als die Finanzkrise seit 2007 das weltweite Überangebot an Geldkapital beendete, den Kapitalimport in die Euro-Südländer stoppte samt der Finanzierung von Importen, Staatshaushalten und Immobiliensause. Mit Verspätung trat ein, was immer eintritt, wenn man den Markt hindernisfrei und roh wirken lässt. Die Ungleichgewichte zwischen Starken und Schwachen nehmen dramatisch zu. Wenn keine Kräfte außerhalb des Marktes - üblicherweise Staatsinstitutionen - dagegen wirken, bleibt den Schwachen nur die Flucht oder, wenn möglich, der Weg zurück zur Abschottung. Das ist heute der Stand der Dinge in der Eurozone.

In dieser Zone fehlt, was anderen Währungsräumen eigen ist: ein staatliches Transfersystem, das die Verheerungen des ganz freien Marktes zumindest abmildert. Es fehlen in Euro-Europa ein einheitliches Steuersystem und ein einheitliches soziales Sicherungssystem. Statt dessen gilt in der EU und im Eurogebiet der Wettbewerb der Staaten. Statt gemeinsamer Steuern liefern diese Staaten sich einen Steuerwettlauf nach unten. Statt gemeinsamer Schuldenvermarktung buhlen sie einzeln um die Gunst der Finanzinvestoren. Wie in freien Märkten üblich, erhalten die Großen und Reichen reichlich Kredit zu günstigen Zinsen, während jene, die kurz vor der Pleite stehen, Wucherzinsen zahlen müssen.

Dass das nicht klappen kann, hat die Geschichte der Euro-Krise seit 2009 gezeigt. Wird das geändert? Gibt es irgendwo bei den Wirtschaftsverbänden, in der Politik (außerhalb der LINKEN und den Gewerkschaften), bei den akademischen Think-Tanks auch nur den Hauch einer Erwägung, ein solidarisches Europa zu schaffen? Besteht ernsthaft die Chance, die Euro-Verträge, die die Währungsunion staatsarm, neoliberal und unsolidarisch vorsehen, zu kippen und in ihr solidarisches Gegenteil zu verkehren? Besteht ernsthaft die Chance, ein gemeinsames Steuersystem in Europa zu schaffen, das von einem Parlament mit Budgethoheit kontrolliert wird und das Wüten des freien Marktes einigermaßen einhegt? Leider nein. Es ist statt dessen realistisch, sich auf das Auseinanderbrechen dieses von oben konstruierten EU-Europa einzustellen und sich gegen die daraus resultierende Verschärfung der Krise zu wappnen.

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