Doppelplusgut

»Werde Fan!« - Wie die Werbung mobil macht

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Lenorgewissen und das HB-Männchen: Charaktere der Populärkultur, die heute so vergessen sind wie der Dodo oder das Programm der SPD aus der Zeit vor dem Godesberger Parteitag.

Früher repräsentierten sie in der westdeutschen Fernseh- und Plakatreklame die scheiternde Verdrängung des schlechten Gewissens und die Neigung zu Aggression und cholerischem Genörgel. In den so populären Charakteren erkannten die Deutschen sich wieder, ohne zu begreifen, dass sie da abgebildet waren: quengelnde Hausmeisterfiguren, gleichermaßen malträtiert von ihrem Es und vom Über-Ich.

Anhand der Werbung konnte man so etwas wie ein Psychogramm der Deutschen erstellen: Slogans zum Fäusteballen, kernig, apodiktisch. Sie verwiesen auf den tumben Stolz darauf, dass das Eigene das Bessere sei, und auf die zwangsneurotische Fixierung auf Zuverlässigkeit und Qualität (»Da weiß man, was man hat«), auf den Fetisch Arbeit und bedingungslose Aufopferungsbereitschaft (»Es gibt viel zu tun. Packen wir‘s an«) sowie auf wahnhaften Gesundheits- und Reinlichkeitsfanatismus, der sich überall von Keimen bedroht sah (»Wäscht nicht nur sauber, sondern rein«).

Heute will Reklame nicht mehr nur den Betrachter zum Erwerb des beworbenen Produkts animieren, indem sie seine Ressentiments abruft, an seine Instinkte und sein Unbewusstes appelliert oder ihm ein Heilsversprechen gibt.

Sie will ihn zum funktionierenden Konformitätstrottel (»Mein Haus! Mein Auto! Mein Boot!«) abrichten, der seine Bedeutung nach der Menge und Größe seines Besitzes bemisst und sich - ähnlich wie die Bevölkerung in Aldous Huxleys Roman »Schöne neue Welt« regelmäßig die Droge Soma zu sich nimmt - seine tägliche Ration falsches Bewusstsein aus freien Stücken zuführt. Was ist heute neben den stündlich infantiler werdenden Slogans (»Geiz ist geil«, »Ich bin doch nicht blöd«), die sich im offensiven Leugnen der Realität erschöpfen (Geiz ist hässlich, Menschen sind dumm), auf Plakaten zu lesen?

»Werde Fan auf Facebook!«, steht da im Kasernenhofton. Frech geduzt und gleichzeitig rüde herumkommandiert wird da der Verbraucher, damit er gleich weiß, dass er hier unwidersprochen Folge zu leisten hat. »Werde Fan auf Facebook«, »Folge uns auf Twitter«: Hervorgebellte Imperative, wie man sie aus der Sprache der Militärs und dem hysterischen Geschrei der Privatradio-Moderatoren kennt, deren allmorgendlicher Propagandadienst darin besteht, die Bevölkerung mit ihrem Gute-Laune-Faschismus zu penetrieren.

Wer mögen die Tausenden Leute sein, die auf derlei Befehle hin auf Facebook »Fans« von Siemens, Aral oder der Deutschen Bank werden?

Schließlich ist ja auch von niemandem bekannt geworden, dass er sich freiwillig einen Werbeprospekt an die Stirn hat tackern lassen, sich ein gerahmtes Porträt von Rainer Brüderle übers Bett hängt oder in seiner Freizeit mit dem konzentrierten Studium sämtlicher Folgen des Maggi-Kochstudios zubringt. Doch scheint es solche Menschen zu geben: Daher findet sich heute auf fast sämtlichen Werbeplakaten ein sogenannter QR-Code. Hält der Betrachter sein Smartphone an die betreffende Stelle, kann er sich die zugehörigen Reklamefilmchen und allerlei weiteren Marketing-Schnickschnack herunterladen, sich also bei Bedarf selbst indoktrinieren.

Der Konsument soll umerzogen werden: Aus dem einst nur von Werbung Berieselten soll der freudig und aktiv sich selbst Gleichschaltende werden, der seinen Lebenszweck, das Dasein als Endverbraucher und Zielgruppenmitglied, stolz bejaht.

Die Werbeindustrie hat freilich ihre eigene doppelplusgute Art, das mittels ihres Neusprechs zu formulieren: »Wir bieten mobilen Menschen schnellen Zugang zu nützlichen (Produkt-)Informationen«. Freiheit ist Sklaverei, Unwissenheit ist Stärke, Lügengeschwätz ist Produktinformation.

Es geht aber auch anders: »Schön, dass Sie hier sind« - so wird man beispielsweise auf der Webseite des Reinigungsmittel- und Klebstoffkonzerns Henkel auf ranschmeißerische Weise angekumpelt, als sei man der lange vermisste Spezi vom Kegelverein, obwohl man doch tatsächlich nichts weiter ist als ein Zellhaufen mit Kaufkraft.

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