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Alfred Hilsberg: Eine etwas andere Musik
Alfred Hilsberg, der Mann, der Punk und New Wave nach Deutschland brachte, ist tot
Heute, wo der Kapitalismus auf ganzer Linie gesiegt hat und die Musikindustrie von Finanzunternehmern und Beamten verwaltet wird, die sich für Kunst nicht mehr interessieren als für das Schwarze unter ihren Fingernägeln und die ebenso gut Duschvorhänge verkaufen könnten wie Popmusik, erinnern sich nur noch solche Menschen an Alfred Hilsberg, für die Musik in ihrer Adoleszenz mehr war oder ist als ein Konsumgut oder ein Geschäftsmodell.
Hilsberg, 1947 im tristen Wolfsburg geboren, war eine illustre Persönlichkeit. Und er war eine stilprägende Figur der musikalischen Subkulturen dieses an Subkulturen mittlerweile sehr armen Landes. Sein Vater war Arbeiter bei VW, seine Mutter Hausfrau. Auf Wunsch des Vaters fing Alfred mit acht Jahren an, Klavierspielen zu lernen. Er hatte Talent, aber die Strauss-Walzer ödeten ihn an. »Er bevorzugte Komponisten, die eine etwas andere Musik machten, zum Beispiel Béla Bartók«, heißt es in dem bis heute einzigen Buch über Hilsbergs Leben und Werk. Die Neigung zum musikalisch Abweichenden und Eigenwilligen scheint also früh ausgeprägt gewesen zu sein. Alfreds Vater war verärgert, für die musikalische Moderne hatte er nichts übrig. »Was bringen Sie denn da meinem Sohn bei?«, soll er die Klavierlehrerin angeschnauzt haben.
In den 60ern trat der heranwachsende Alfred wie viele Jugendliche die Flucht ins Kino an, drehte selbst experimentelle Kurzfilme mit einer 16-mm-Kamera. »Wir waren halt Subkultur und dachten uns jeden Tag etwas anderes aus«, berichtet ein damaliger Freund.
1977 veranstaltete Alfred Hilsberg die ersten Punkrock-Konzerte in Deutschland: Auftritte der Vibrators und der Stranglers. 1978 schrieb er in der aus heutiger Sicht wegweisenden, damals nur von einer kleinen interessierten Minderheit gelesenen Musikzeitschrift »Sounds« den ersten Artikel über das seinerzeit hierzulande praktisch unbekannte Phänomen Punk. Aus London brachte er im Auto die frühen Punkrockplatten nach Hamburg, wo Freunde ihm dann den Kofferraum leerkauften.
Sein größtes Verdienst dürfte kurze Zeit später – begleitet von der Eröffnung des Plattenladens »Rip off« (»es gab eine Couch und einen Sarg als Tisch«), der zum Hauptquartier der Hamburger Punkszene wurde – die Gründung der Plattenfirma ZickZack im Jahr 1979 gewesen sein. Auf diesem ersten deutschen Indie-Label, wie man es heute nennen würde, veröffentlichte Hilsberg Musik, die, hätte es ihn nicht gegeben, vermutlich nie auf Schallplatten gepresst worden wäre: eine anfangs oft unversöhnlich klingende Musik, die aus dem Geist des Punkrocks und des »Do it yourself«-Gedankens entstanden war, geschaffen und dargeboten von Bands, die sich Namen wie Kosmonautentraum, Die Tödliche Doris, Nachdenkliche Wehrpflichtige, Abwärts oder Geisterfahrer gegeben hatten und die nicht verhehlten, dass sie keinerlei Ambitionen hatten, »die Hitparaden zu stürmen«, wie man seinerzeit sagte. Es ging um kulturelle Selbstermächtigung. Auch das Debütalbum der Einstürzenden Neubauten brachte der Labelbetreiber 1981 heraus.
Nicht den Konsens wolle er befördern, sagte Hilsberg einmal, sondern den Widerspruch. Tatsächlich hat der Mann über Jahrzehnte hinweg dem hierzulande besonders öden musikalischen Mainstream eine Nase gedreht: In den 90ern und 2000ern setzte er sein Engagement als Entdecker und Förderer neuer und anderer Musik fort, veröffentlichte 1992 etwa das erste Album von Blumfeld und, vor 21 Jahren, die erste Platte von Jens Friebe.
»Er mochte das Selbstorganisierte, Nicht-Kommerzielle; er mochte den sich ausbreitenden Willen, eine eigene musikalische Kultur zu etablieren, ohne sich den Regeln der Kulturindustrie zu unterwerfen«, schreibt Jens Balzer in seinem Nachruf in der »Zeit« und nennt ihn den »großen Ermöglicher«. »Er interessierte sich nie für kommerziellen Erfolg, sondern für künstlerische Radikalität«, heißt es im Berliner Magazin »Tip«.
Noch vor wenigen Jahren hat Christof Meueler, der das nd-Feuilletonressort leitet, zahlreiche Gespräche mit Hilsberg und vielen seiner Zeitgenossen geführt und das oben bereits erwähnte opulente Buch über diesen geschmackssicheren Kultur-Impresario und Wegbereiter der deutschsprachigen Punk- und New-Wave-Musik verfasst (»Das ZickZack-Prinzip«, 2016). Jetzt ist Alfred Hilsberg im Alter von 77 Jahren in Hamburg verstorben.
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