Wie lange halten Niedersachsens Deiche?

Langer Hochwasserstand macht Sorgen im Norden

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Hochwasserscheitel der Elbe ist in Niedersachsen angekommen. Zur Zeit stagniert der Pegelstand im Kreis Lüchow-Dannenberg. Doch nach wie vor herrscht vielerorts Angst. Mehrere Tage lang wird das Wasser nun gegen die Deiche drücken. Werden sie halten? Das ist die bange Frage auch in Schleswig- Holstein und Mecklenburg Vorpommern.

Es ist ruhig geworden an den Schutzwällen in Lüchow-Dannenberg. Keine Kommandos der Sandsacktrupps sind mehr zu hören, kein Dieselgetacker von Traktoren, die frisch gefüllte Säcke bringen. Nur leise sind die Gespräche der Deichläufer zu vernehmen: Männer und Frauen, die sich freiwillig für diesen Dienst gemeldet haben. Stundenlang gehen sie die Deichkronen entlang, spähen aus nach Beschädigungen, Löchern, Verwerfungen, nach Wasser, das sich einen Weg durch das Schutzsystem gebahnt hat.

Alarm am Deich gab es bereits mehrmals. Am Montag etwa, als aus einer am Deich gelegenen Straße plötzlich Wasser hervor drang. Helfer eilten herbei, schlossen das Leck mit Stahlplatten. Oder als im Hinterland »Beulen« im Boden entdeckt wurden, aufgewölbtes Erdreich, hochgedrückt vom Wasser, das unter dem Deich durchgedrungen war. Hinweise auf einen möglichen Deichbruch gibt es noch nicht. Doch die Furcht davor ist spürbar, ist hörbar im Gespräch mit Menschen in dem großen Gebiet, in dem der Katastrophenfall ausgerufen wurde, in dem 3500 Helferinnen und Helfer von Feuerwehr, Technischem Hilfswerk (THW), DRK, weiteren Hilfsorganisationen und der Bundeswehr im Einsatz sind.

Auch Landrat Jürgen Schulz betont, es gebe keinen Anlass zur Entwarnung. Die Lage ist weiter ernst. Für die Bewohner einiger Orte, in denen keine hohen Deiche Sicherheit versprechen, ist der Ernstfall bereits eingetreten. In Vietze zum Beispiel, einem Dorf unweit von Gorleben, hat das Wasser eine ganze Siedlung überflutet und steht rund 80 Zentimeter hoch. Helfer der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft brachten die Bewohner mit Booten ins Trockene. Sie fanden bei Bekannten oder in leerstehenden Ferienhäusern vorübergehend Quartier. Das Hochwasser hat auch die Kanalisation des gesamten Ortes lahm gelegt. Niemand darf mehr aufs Klo, mobile Toiletten wurden herangeschafft, duschen können die Vietzer in einem nahen Hallenbad.

Wasser ist auch nach Gorleben vorgedrungen, hat Straßen überflutet. Doch bis zum atomaren Zwischenlager ist die Elbe nicht geschwappt. Genauso wie das Endlager-Erkundungsbergwerk liegen die Hallen mit den Castorbehältern höher als das elbnahe Wohngebiet.

Am »anderen Ende« Lüchow-Dannenbergs, unweit der Grenze zum Kreis Lüneburg wird die Gemeinde Neu Darchau nur durch einen eilends errichteten Notdeich vor der Überflutung bewahrt. Doch schon mehrmals musste er repariert werden, Polizeitaucher und viele andere Helfer, unter anderem von Feuerwehr und THW, waren dazu im Einsatz. »Hoffentlich hält die Konstruktion den Wasserdruck aus«, heißt es immer wieder im Ort.

Im 13 Kilometer weiter elbaufwärts liegenden Hitzacker beherrscht ein anderer Wunsch etwa 300 Menschen: »Hoffentlich können wir bald zurück.« Zurück in die Altstadt. Sie ist am Sonntag evakuiert worden. Zu hoch ist die Gefahr, hieß es von den Behörden, dass das Elbewasser im Extremfall die Schutzmauer am Hafen überflutet. Doch so hoch steht das Wasser nicht. Allerdings könnten die Spundwände in der Mauer durch Treibgut der Elbe beschädigt werden. Im Fluss schwimmen große Bäume und auch Bootsstege, die der Fluss mit sich gerissen hat. Sogar ein Jäger-Hochsitz wurde in der Flut gesichtet. Kräfte des Wasser- und Schifffahrtsamtes sind bei Hitzacker mit Booten unterwegs und geben acht, dass nichts Gefährliches den Schutzanlagen zu nahe kommt.

Stationiert sind die Amtsboote im schleswig-holsteinischen Lauenburg. Auch dort hofft man, dass das Wasser nicht noch höher steigt. In der Altstadt steht es bereits kniehoch, 400 Menschen mussten ihre Häuser verlassen.

Am anderen Ufer der Elbe, in Mecklenburg-Vorpommern, ist man ebenfalls auf Evakuierungen vorbereitet, in Dömitz zum Beispiel. Vorsorglich ist dort bereits ein Altenheim geräumt worden. Die Angst, der Deich könnte weich werden, zieht durch die gut 3200 Einwohner zählende Stadt. Gefährdet bei Brüchen des Schutzwalls wären im ganzen Bundesland nahezu 14 000 Menschen.

Nicht allein Menschen müssten im Fall eines gebrochenen Deiches in Sicherheit gebracht werden. Schauen die Lüchow-Dannenberger Deichläufer auf die binnendeichs gelegenen Wiesen, fällt ihr Blick auf Dörfer, in denen Rinder gehalten werden. Sie zählen zu etwa 12 000 Nutztieren in der Dannenberger Marsch, die es bei einer Überflutung fortzubringen gilt. Die Katastrophenschützer sind darauf vorbereitet. Doch alle hoffen, dass der Deich nicht durchweicht, und man vertraut auf die Wächter, die bei ihren Kontrollgängen drohende »Löcher« rechtzeitig sehen und melden, dass ein Leck schnell und gut gestopft werden kann.

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