Sündenfall unterm Hakenkreuz

Akademieausstellung erinnert an vertriebene Wissenschaftler

»Ihr habt nicht sehen wollen, es war zu unbequem«, klagte die Kernphysikerin Lise Meitner in einem Brief vom 27. Juni 1945 an Otto Hahn. Günter Stock, Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, zitierte ihre Anklage zur Eröffnung einer Ausstellung in seinem Haus, die sich mit den Sündenfall der Forschungseinrichtung unterm Hakenkreuz befasst. 14 Mitglieder und mindestens 15 wissenschaftliche Mitarbeiter wurden in der NS-Zeit aus der Preußischen Akademie ausgeschlossen, gekündigt oder gestrichen.

Hatte man anfangs den jüdischen Gelehrten »freiwilligen« Austritt unmissverständlich nahegelegt, so erfolgte 1938 der Generalangriff auf alle »jüdisch versippten« Gelehrten. Die im Dezember des Jahres »einstimmig« angenommene neue Satzung bestimmte, dass nur noch »Reichsbürger deutschen und artverwandten Blutes« an der Akademie forschen dürften. Die Stätte des Geistes beugte sich dem Ungeist. Schlimmer noch: Sie »säuberte« sich im vorauseilenden Gehorsam selbst. Im September 1939 übergab die Akademieleitung dem NS-Außenministerium eine Liste der 70 ausländischen korrespondierenden Mitglieder, auf dass deren Viten von den Gesandten weltweit auf jüdische Spuren durchleuchtet werden. Max Planck hatte zwar versucht, die Wahl des Nazis Theodor Vahlen zum Präsidenten zu verhindern, das Faksimile eines handschriftlichen Entwurfs in der Ausstellung enthüllt indes: Auch der Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft unterwarf sich den NS-Rassegesetzen. So blieb der »verzweifelte Hilfeschrei« (Stock) des ausgeschlossenen, mit dem Gelben Stern stigmatisierten und zur Zwangsarbeit verurteilten Rechtshistorikers Peter Abraham kurz vor seiner Deportation nach Auschwitz 1943 in der Akademie ungehört. Das Todesdatum des Herausgebers des »Vocabularium Jurisprudentiae Romanae« ist ungewiss. Statt eines Porträts erinnert in der Exposition an ihn ein Foto von dem ihm gewidmeten Stolperstein in Berlin. Vor allem von vertriebenen Mitarbeitern der Akademie sind noch nicht einmal Fotos überliefert, geschweige deren weiteren Schicksale bekannt.

Beschämend für die stolze Leibniz'sche Gründung: Proteste oder Solidaritätsbekundungen mit den ins Exil, KZ und in den Tod Getriebenen gab es nicht. Nur drei Wissenschaftler wagten dies, und dies frühzeitig: Albert Einstein und sein russischer Kollege Abram F. Joffe sowie der in den USA lebende deutschstämmige Anthropologe Franz Boas. Letzterer prangerte bereits am 27. März 1933 die Hitlerdiktatur öffentlich an: »... wenn Unfläterei, Gemeinheit, Unduldsamkeit, Ungerechtigkeit, Lüge heutzutage als deutsch angesehen werden, wer mag dann noch ein Deutscher sein?« Am Folgetag erschien von Einstein im französischen »Journal des Nations« eine Philippika wider die »Akte brutaler Gewalt und Bedrückung, die gerichtet sind gegen alle Leute freien Geistes und gegen die Juden«. Physiknobelpreisträger Max von Laue meinte daraufhin, dass Einstein »durch sein politisches Verhalten seinen Verbleib in der Akademie unmöglich gemacht hat«.

Die aufklärende wie schockierende Schau vereint Text- und Fotodokumente sowie gegenständliche Hinterlassenschaften, so vom 1941 im Schweizer Exil verstorbenen Philologen Eduard Norden, zur Verfügung gestellt von dessen bei der Ausstellungseröffnung anwesenden Nachfahren. In einer Vitrine ist sein posthum gedruckter Akademievortrag »Das Genesiszitat in der Schrift Vom Erhabenen« zu sehen - auf Initiative seines einstigen Freundes und ersten Nachkriegspräsidenten der nunmehrigen Deutschen Akademie der Wissenschaften, Johannes Stroux, 1955 im Akademieverlag editiert. Dort erschien auch Nordens »Varro‘s Imagines« - im letzten Jahr der DDR. Apropos: Dass jene drei Buchstaben in der Ausstellung selbst an jenen Stellen nicht auftauchen, wo der Bezug offenkundig ist, verwundert. Ebenso das Verschweigen, dass der Neustart der Akademie sich der sowjetischen Besatzungsmacht, Kommunisten und jüdischen Remigranten verdankt. Scham oder Chupze?

»Vertrieben aus rassistischen Gründen«, Ausstellung im Rahmen des Themenjahres »Zerstörte Vielfalt«; bis 29.11. im Akademiegebäude am Gendarmenmarkt

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal