Kanzlerin Burns und die Linkspartei

Tom Strohschneider über Merkels Strategie des Neutralisierens und den Wahlkampf der Linken

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 3 Min.

In einer Folge des wunderbaren Gesellschaftspanoramas »The Simpsons« kandidiert der böse Atomkraftwerksbesitzer Burns als Gouverneur. Im See der von ihm beherrschten US-Zeichentrickstadt Springfield schwimmen wegen radioaktiver Abwässer bereits Fische mit drei Augen - weshalb der Wahlkampfberater des kapitalistischen Fieslings rät, das »brennende Thema« sofort zu »neutralisieren«.

Man liegt ganz richtig, hier an Angela Merkel zu denken. Zwar bedrohen derzeit keine Nachrichten über atomverseuchte Wassertiere den Wahlkampf der CDU-Vorsitzenden. Die Strategie des Neutralisierens beherrscht Merkel aber ebenso gut wie es der Berater Zeichentrickfigur Burns empfohlen hat. Ob es die Eurokrise ist oder der Klimawandel, ob sich die Konkurrenz mit Vorschlägen gegen Mietenexplosion oder Rüstungsexport in Szene setzen will - ihr gelingt es, alle Zuspitzungen, Lagerbildungen und Kontroversen ins Leere laufen zu lassen. Die Kanzlerin betritt zwar stets als Letzte den politischen Streitplatz, dann aber wie die Igelin in der Fabel: Ich bin all hier.

Merkel genießt ein stabil hohes Ansehen, obwohl die Mehrheit nicht davon ausgeht, dass ihre Wahlversprechen überhaupt umgesetzt werden. Mehr noch: Es glauben immer weniger Menschen, dass Politik in den aktuellen Farbvarianten überhaupt noch zu Kursänderungen in der Lage wäre, die diese Bezeichnung auch verdienen.

Womit wir bei der Linkspartei wären. Sie ist vielleicht das größte Opfer der Strategie von Kanzlerin Burns. Wer, wenn nicht diese Partei könnte Träger einer Stimmung des Umwälzens und Veränderns sein? Und wem, wenn nicht dieser Partei, nimmt Merkel mit ihrem Neutralisieren den Wind aus den Segeln? Kaum war ganz links eine Idee gegen Mietenexplosion formuliert, fiel es Rot-Grün als Opposition leicht, einen eigenen Entwurf vorzulegen - doch dann kam die »Zur-Not-behaupte-ich-auch-dafür-zu-sein-Kanzlerin«.

Das soll kein Plädoyer sein, in die zu oft zu hörende, mutlose Klage einzustimmen, dass all die guten Ideen ja eigentlich von der Linkspartei erfunden wurden. Es macht erstens keinen guten Eindruck, Urheberschaft für sich zu reklamieren, wo es darum gehen müsste, den Menschen das Gefühl zu geben, dass es ihre Interessen und Forderungen sind, welche über eine Partei in die politische Arena eingebracht werden. Und zweitens hat die Linkspartei trotz Nachziehens anderer bei bestimmten Themen (ein Erfolg, der sich aber nur selten auszahlt), immer noch gute Gründe, selbstbewusst und etwas fröhlicher auf den dreiäugigen Fisch und die eigenen Alternativen zu zeigen.

Ein Wahlprogramm, wie es nun in Dresden verabschiedet werden soll, ist dabei wichtig - zur Selbstverständigung. Aber damit allein wird man der alles neutralisierenden Kanzlerin nicht beikommen. Die Linkspartei hat in den Hochwasser-Tagen gezeigt, wo und wie ihr das besser gelingen könnte: vor Ort, nah bei den Sorgen der Menschen, als Kümmererpartei.

Das übrigens steht nicht im Gegensatz zum Ziel, die Verhältnisse vom Kopf auf solidarische, ökologische und freiheitliche Füße zu stellen. Ohne die Glaubwürdigkeit, es schon hier und heute ganz praktisch mit den alltäglichen Zumutungen aufzunehmen, wird es auch mit den Mehrheiten für wirkliche Veränderungen nichts. Man überzeugt die Menschen nicht mit Papier davon, dass die lügen, die behaupten, ein dreiäugiger Fisch wäre eigentlich ja sogar im Vorteil. Sondern mit Taten.

Wir sind käuflich. Aber nur für unsere Leser*innen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen aufgreifen
→ marginalisierten Stimmen Raum geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten voranbringen

Mit »Freiwillig zahlen« machen Sie mit. Sie tragen dazu bei, dass diese Zeitung eine Zukunft hat. Damit nd.bleibt.