Medien und der Amoklauf in Graz: Weniger ist mehr

Sarah Yolanda Koss über mediale Fehler nach dem Grazer Amoklauf

Kerzen und Blumen nach dem Amoklauf vor der Grazer Schule
Kerzen und Blumen nach dem Amoklauf vor der Grazer Schule

Nach dem tödlichsten Schulamoklauf in der Geschichte Österreichs herrschte in Graz und an den dorthin verbundenen Telefonen betroffenes Schweigen. Zugleich braute sich bereits in den ersten Stunden medialer Lärm zusammen. »Weniger ist mehr«-Predigten von Digitalexpert*innen und Psycholog*innen zum Trotz, generierten (rechte) Boulevardmedien erwartungskonform Klicks mit dem Leid der Betroffenen. Mehr als 60 Beschwerden gingen inzwischen beim österreichischen Presserat ein.

Das Nachrichtenmagazin Profil hat immerhin den Anspruch, qualitativen, investigativen Politjournalismus zu betreiben. Das bedeutet offenbar: Zwei Journalist*innen läuten am selben Tag – black-mirror-style – an der Haustür der Familie des Täters, um den Wohnort, schockierte Nachbar*innen und das »In der Wohnung verschwinden« von Mutter und Bruder des Amokläufers zu beschreiben. Kritik kann die Chefredakteurin des Magazins nicht nachvollziehen – sie hätten sie nicht »gejagt« und vielleicht hätte die Mutter »ja was sagen wollen«. Das Profil gegen eine angeblich übertriebene Wokeness.

Professioneller Journalismus bedeutet, ein allgemeines Informationsbedürfnis zu befriedigen. Nicht zu berichten, wie viele Gartenzwerge vor dem Haus eines Amokläufers stehen und seine Angehörigen vor ein Mikrofon zu zerren. Es bedeutet Unterstützung bei Traumabewältigung und Vermeidung von Nachahmungseffekten. Und reflektierte Einordnungen, wenn die politische Debatte um Waffenverbote und fehlende psychologische Betreuung in den kommenden Tagen an Fahrt aufnimmt. Bis dahin kann man sich Pietätlosigkeiten einfach sparen.

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