Maß und Maßlosigkeit

»DEKALOG« - Ausstellung in der Guardini Galerie

  • Sabine Neubert
  • Lesedauer: 3 Min.

In Vorausschau auf das Reformationsjubiläum 2017 gibt es derzeit in der Guardini Galerie eine sehr nachdenkenswerte Ausstellung zum Thema »DEKALOG (Die Zehn Gebote) - Ein Assoziationsraum I«. Sie ist Teil eines größeren Projekts, das sich an Beispielen aus bildender Kunst, Literatur, Musik und Film (u.a. dem »Dekalog«-Zyklus von Krzysztof Kieślowski) mit der Frage nach Geboten und Verboten und ihrer Gültigkeit heute, in einer Zeit scheinbar unbegrenzter Möglichkeiten und Freiheiten, beschäftigt. Veranstaltet wird das Projekt von der Guardini Stiftung in Zusammenarbeit mit der Stiftung der Matthäuskirche.

Schon der Untertitel macht deutlich, dass hier nicht einfach Illustrationen zu den von Martin Luther zusammengestellten und für die damalige Zeit kommentierten Zehn Geboten gezeigt werden, sondern dass Denkanstöße gegeben werden sollen. Eröffnet wird mit einer Video-Sequenz »Der Tanz um das Goldenen Kalb« aus dem 1956 in den USA entstandenen Film »Die Zehn Gebote« (Cecil B. DeMille). Er ist typisch für Zeit und Ort damaliger Filme in der drastischen Darstellung von Massenorgien und großem Fressen. Heute raffinierter praktiziert, gäben wohl Maßlosigkeit und eine »Religion des Konsumismus« Moses nicht weniger Anlass, die Gebotetafeln zu zerschmettern.

Gleich drei Illustrationen thematisieren über Zeiten hinweg bis in die Gegenwart sehr verschieden das Hauptthema Freiheit: Ein Plakat von Max Pechstein von 1918 mit dem Titel »Erwürgt die junge Freiheit nicht«, ein Foto, das Barbara Klemm im Dezember 1989 von Helmut Kohl in Dresden gemacht hat, und das Konterfei von Margret Thatcher aus dem »Daily Telegraph« vom April 2013.

Radierungen von Heinrich Ehmsen illustrieren schauerliche Exekutionsszenen von 1919 in München. Hier ist der direkte Hinweis auf jenes Gebot - »Du sollst nicht töten« - augenfällig, unter dem noch im Ersten Weltkrieg stand: »Gilt nicht im Kriegsfall.« Erschreckt liest und hört man eine Rede Himmlers vom Oktober 1943, mit der er androhte, keine »Fäulnisstelle« der Bereicherung beim legitimierten Massenmord an den Juden zu dulden. Unbegrenzte Freiheit vielfältiger Art dominiert den zweiten Raum, ob es nun um »die Freiheit am Hindukusch«, um Pressefreiheit (Thema Christian Wulff und Bild-Zeitung) oder um Experimente mit Tieren von der Aufklärung im 18. Jahrhundert an bis hin zu Naturschutz-Aktionen von Joseph Beuys geht.

Ein Stillleben mit Brot und Wein von Theodor Rosenhauer stimmt auf die »Dinge voller Stille« im Untergeschoss ein. Auch hier wieder der Kontrast zwischen einem (raffiniert »stillen«) Werbespot mit George Cloony und John Malkovich für »Nespresso« von 2009 und einer Sequenz aus Pasolinis Film »Große Vögel, kleine Vögel« von 1966. Ein junger und ein alter Mönch gelangen in stiller klösterlicher Natur jubelnd an das Ziel einer Lebensreise: »Ich hab›s gefunden, ich hab‹s gefunden! Amore!« Auch auf den Betrachter überträgt sich das Glück nach einem Weg vom Lärm zur Stille, von der Maßlosigkeit zum Maßhalten.

DEKALOG Ein Assoziationsraum I. Guardini Galerie. Askanischer Platz 4, Di-Fr 12-18 Uhr, Sa 14-18 Uhr. Bis 12. Juli

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