Mursis Dilemma

Roland Etzel über die Protestbewegung in Ägypten

  • Lesedauer: 2 Min.

Die Protestbewegung in Ägypten will den Schwung der einmal mobilisierten Massen nutzen und geht aufs Ganze. Bis heute Nachmittag soll Präsident Mursi seinen Stuhl räumen. Ansonsten soll weiterdemonstriert werden bis zum Sieg.

Und dann? Die prominenten Stimmen des Protests halten sich bei der Formulierung programmatischer Ziele für den Fall eines inzwischen durchaus denkbaren Erfolges auffällig zurück. Das mag der pragmatischen Überlegung entspringen, dass man mit jeder Präzisierung der diffusen, aber griffigen Parole »Mursi muss weg!« Anhänger verlieren könnte. Es kann aber ebenso Ausdruck einer tiefen Ratlosigkeit darüber sein, wie es danach weitergehen soll. Wie sonst soll gedeutet werden, dass einer der Wortführer der Opposition ausgerechnet das Militär um Hilfe gegen Mursi anruft.

Auf der anderen Seite sieht es nicht besser aus. Der Präsident, zwar demokratisch gewählt, aber politisch unerfahren, erliegt dem Irrtum, gestützt auf eine rechnerische Mehrheit der Wähler könne erst recht regiert werden wie früher. Er übersieht, dass es sich bei der Rebellion vielleicht insgesamt, aber nicht auf der Straße um eine Minderheit handelt - noch dazu um eine äußerst qualifizierte, politisch wache, kampagnenfähige. Und sie versammelt in ihren Reihen sehr wahrscheinlich einen Großteil derer, die für das Land am Nil Zukunft verkörpern. Zu denen eine Brücke zu bauen, haben er und sein Lager nicht für notwendig erachtet. Und jetzt wäre es wohl auch zu spät dafür.

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