Von der Ausnahmestimme ist wenig geblieben

Joe Cocker enttäuschte mit seinem Auftritt am 20. Juli in Montreux

  • Christoph Nitz, Montreux
  • Lesedauer: 3 Min.
Seit dem Woodstock-Festival 1969 gilt Joe Cocker als Erfinder der Luftgitarre und Sänger mit begnadeter Stimme. Bei seinem Auftritt am beim 47. Montreux Jazz Festival konnte man von dieser wenig hören – der 69-Jährige quälte sich durch sein Hitprogramm.

Die Fotografen wurden angewiesen, Cocker nur von der Seite abzulichten. Beinahe drohend klingt der Satz »no one in front of him« in den Anweisungen des Organisationsbüros. Doch auch im Profil wirkt Joe Cocker mit 69 Jahren deutlich älter als gleichaltrige Kollegen wie etwa Rod Stewart oder Mick Jagger. Seine einstmals gefeierte Ausnahmestimme ist nur noch in Ansätzen erahnbar. Er ringt um jede Silbe und gewinnt diesen Kampf nicht immer.

Er komme im Frieden und wolle einer Vision folgen, die ihn auf seine Mission geschickt habe – schon der Eröffnungstitel »I come in Peace« lässt nichts gutes ahnen. Schon 1997 hatte er in einem Interview zu Protokoll gegeben: »Im Stimmeverlieren habe ich Übung.« Und die traurigen Reste konnte man im Auditorium Stravinski beim letzten Konzert im offiziellen Programm des 47. Montreux Jazz Festivals hören. Besonders die tolle Box Tops Nummer »The Letter« – im Original einer der kürzesten und schnellsten Songs, die jemals auf Single gepresst wurde – wurde zur anstrengenden Hörprobe. Viel langsamer als der 1967-er Nummer Eins-Hit würgte sich Cocker durch die Zeilen und das ganze wurde mit belanglosen Saxophon-Einlagen gestreckt. Immerhin das Saxophon wurde von Norberto Fimpel live gespielt – andere Bläser kamen aus den Keyboards. Insgesamt konnte die Band überzeugen, bot allerdings keine musikalischen Spitzenleistungen.

Das Programm seiner aktuellen Tournee besteht aus einigen Titeln seines neuen Albums »FIre it up« und den Klassikern, die das Publikum im Zweifel auch alleine singen kann. Auf der Bühne helfen ihm Nichelle Tillman – sie gestaltet auch den weiblichen Part in »Up where we belong« – und Laura Jane Jones stimmlich aus. An manchen Stellen wird aber das ganz grobe Rettungsset zum Einsatz gebracht: Man nehme ein Saxophon, das die Singmelodie spielt, fülle den Klang weiter auf mit allen verfügbaren Stimmen – besonders die Bassistin Onieda James-Rebeccu fällt hier angenehm auf – und lasse den Altstar einfach krächzen.

Man sieht, dass sich Joe Cocker redlich Mühe gibt, er schwitzt und man fürchtet beinahe, dass jeder Ton den er aus den Tiefen seiner Kehle und mächtigem Einsatz holt, der letzte sein könnte. » I’ll be your doctor« – vielleicht sollte er selbst auf den Rat eines Arztes hören. Es fällt nicht ins Gewicht, dass er die herrliche Lennon-Nummer »Come together« in einer langsamen Fassung um ihre raue, ungeschliffene Aggressivität bringt. Die meisten Besucher in Montreux haben sich vorgenommen, sich den Abend noch schön zu tanzen. Bei »You can leave your hat on« und »Unchain my Heart« klappt das auch vorzüglich. Das Publikum in Deutschland hält dem Sänger seit Jahrzehnten die Treue und kauft brav seine Alben in die Top Ten – in seinem Geburtsland England findet er immerhin noch wahrnehmbare Ressonanz, in der Wahlheimat USA kam er letztmals 1974 mit dem Album »I can stand a little rain« in die oberen Etagen der Hitlisten. Entsprechend viele Deutsche waren an den Genfer See gereist und freuten sich über den Auftritt ihres Idols – die stimmlichen Schwierigkeiten nahmen sie eher gelassen hin. »Wir sind ja auch nicht mehr so jung wie 1969.« Bei »With a little help from my friends« zeigte er eine Ahnung seiner Luftgitarren-Choreographie – und das Publikum bejubelte jedes langgezogene »Aaaaaaaaaah« wie eine Offenbarung.

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