Anti-Antifa mit Presseausweis
Berliner Neonazis tarnen sich als Journalisten um Gegner auszuspähen
Seelenruhig baut der Mann mit der Sonnenbrille und der schwarzen Schirmmütze ein Stativ auf und richtet das Objektiv seiner Kamera auf die Teilnehmer der Kundgebung am S-Bahnhof Schöneweide. Eine Szene vom 1.Mai dieses Jahres. Die Menschen haben sich versammelt, um gegen einen Aufmarsch der NPD im Treptower Ortsteil zu demonstrieren. Der Mann mit der Kamera, ein stadtbekannter Anti-Antifa-Fotograf, ist dem Umfeld des militanten Kameradschaftsnetzwerks »Nationaler Widerstand Berlin« zuzuordnen. Trotz Polizeiabsperrung dorthin gelangen konnte der wegen Gewalttaten vorbestrafte Neonazi, weil er sich gegenüber den Beamten durch das Vorzeigen eines Presseausweises als Journalist ausgab. Rechtsextremisten, die Presseausweise und die damit verbundenen Privilegien nutzen, um Informationen über politische Gegner zu sammeln, das ist laut Insidern kein gänzlich neues Phänomen. Bereits seit 2011 beobachten sie am Rande von rechten Demonstrationen in Berlin diese Taktik der Rechtsextremisten.
Auch bei der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR) ist das Phänomen bekannt. Die MBR geht davon aus, dass die gesammelten Informationen auch dazu genutzt werden »körperliche Angriffe« gegen Engagierte »vorzubereiten«, sagt Mitarbeiter Sebastian Wehrhahn. Wenn stadtbekannte, gewalttätige Neonazis als Journalisten getarnt mühelos polizeiliche Absperrungen durchlaufen könnten, um so bessere Aufnahmen von antifaschistischen Demonstranten zu machen, dann sei das besorgniserregend, sagt der Experte. Nicht nur antifaschistische Demonstranten sind im Visier der Neonazi-Fotografen. Journalisten, die regelmäßig über rechte Veranstaltungen berichten, erzählen, dass auch sie gezielt abfotografiert und bedrängt werden. Die Polizei sei häufig überfordert was den Schutz von Journalisten angehe, beklagen sie.
Die Bedingungen unter denen Presseausweise ausgestellt werden, müssen genau überprüft werden, um zu verhindern, dass sie von Rechtsextremen »missbraucht« werden, fordert Sebastian Wehrhahn.
Zuständig für die Ausstellung von Presseausweisen sind in Deutschland die Journalistenvereinigungen. Bei den großen Berufsverbänden gibt es auf Nachfrage zu der Problematik kaum Erkenntnisse. Die Kriterien für die Vergabe des von ihnen ausgestellten bundeseinheitlichen Presseausweises seien eindeutig, heißt es. Anträge auf Presseausweise von Mitarbeitern »rechtsnationaler Medien lagen uns in Berlin und Brandenburg bisher auch nicht vor«, sagt Andreas Köhn von der Deutschen Journalistenunion (DJU) bei ver.di. »Die hauptberufliche journalistische Tätigkeit muss nachgewiesen werden«, ergänzt Anja Pasquay, Pressereferentin beim Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger. Das sei schon rein ökonomisch eine ziemlich hohe Hürde, so Pasquay. Eine Kontrolle, welche »politische Gesinnung« der Antragsteller habe, sei dabei aber »natürlich nicht machbar und auch nicht gewollt«, erläutert Lutz Fischmann von freelens, wo hauptsächlich Fotojournalisten organisiert sind. Grundsätzlich sehen die Verbände jedoch eine praktische Möglichkeit Neonazis einen Presseausweis zu verweigern. Es gäbe keinen Rechtsanspruch auf einen Presseausweis, sagt DJU-Bundesgeschäftsführerin Cornelia Haß. Die Möglichkeiten sind jedoch begrenzt. Es gibt »unzählige Geschäftemacher« die Presseausweise »verkaufen« - »leider völlig legal«, schränkt freelens- Geschäftsführer Fischmann ein.
In der Praxis differenziere die Polizei nicht zwischen dem bundeseinheitlichen Presseausweis und »Kaugummiautomaten«- Presseausweisen, bemängelt ein Fotojournalist, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Eine Tatsache, die sich auch ein Lichtenberger Neonazi zu nutzen machte, wie antifaschistische Gruppen kürzlich bekannt machten. Stephan A. , der von Beobachtern dem Spektrum des »NW Berlin« zugerechnet wird, erschien am Rande von Demonstrationen, um Journalisten und Teilnehmer linker Veranstaltungen abzulichten. Er trat dabei als Journalist einer »European News Agency (ENA)« auf. Über sein inzwischen gelöschtes Profil auf der ENA-Seite und beim Internetfotodienst flickr veröffentlichte A. im Anschluss Meldungen und Fotoberichte beispielsweise zu einem Umweltfestival und einem Kiezspaziergang an der East Side Gallery. Bei der ENA können sich alle ungeprüft anmelden, »die Content-Lieferanten veröffentlichen redaktionelle Inhalte in eigener Regie«, wie es in den Nutzungsbedingungen heißt. Die Tätigkeit dort berechtigt gleichzeitig zum Kauf eines Presseausweises beim »Deutschen Verband der Pressejournalisten«, der sich mit der ENA eine Postadresse in Ingolstadt teilt. Aufgeflogen war A.s Tätigkeit, weil die »Bürgerinitiative Marzahn Hellersdorf« eine Meldung von A. auf ihrer Facebookseite teilte. Die »Bürgerinitiative«, die als von Rechtsextremisten beeinflusst gilt, agitiert seit Wochen gegen eine Notunterkunft für Flüchtlinge in dem Berliner Bezirk.
Wie andere rechte Gruppen reagiert man hier auf kritische Kommentare äußerst dünnhäutig. In einem inzwischen wieder gelöschten Artikel werden zwei Journalisten namentlich angegriffen. Ein Autor von »Zeit-Online« wird mit seinem vermeintlichen Klarnamen enttarnt. Dabei griff die Bürgerinitiative ausgerechnet auf Informationen aus einer Feindesliste der Neonaziszene zurück, die bis zur Abschaltung der Seite auf dem Internetportal »NW Berlin« zu finden war.
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