Als ob dir ein Engel auf die Zunge pinkelt ...

2013 wird die elsässische Weinstraße 60 - ein guter Grund, sie zu besuchen und sie schlückchenweise zu genießen

  • Heidi Diehl
  • Lesedauer: 6 Min.
Manchmal, wie in Itterswiller, sieht man noch uralte Hinweisschilder auf dem Weinweg.
Manchmal, wie in Itterswiller, sieht man noch uralte Hinweisschilder auf dem Weinweg.

Es ist eine glatte Lüge, und sie weiß es. »Aber nur noch ein winziges Schlückchen bitte«, gibt sie Yvette Halbeisen zu verstehen, und hofft im Stillen, dass die Winzerin das nicht allzu wörtlich nimmt. Ein Blick auf die Flaschen, die sie allesamt in nicht ganz winzigen Schlückchen probiert hat, mahnen zur Mäßigung. Doch angesichts der noch nicht probierten Sorten hat die Vernunft letztlich keine Chance.

Was die Chefin des seit 1737 bestehenden Weingutes in Bergheim an der elsässischen Weinstraße da einschenkt, ist so köstlich, dass auch alle anderen in der Runde nicht widerstehen können. Außerdem sind die weinliebenden Touristen noch nicht beim Gewürztraminer angekommen, und der spielt unter den sieben in dieser Region angebauten Rebsorten eine ganz besondere Rolle. »Außergewöhnlich in der Fülle seiner Aromen, würzig, kräftig, fruchtig, exotisch«, macht Yvette Halbeisen die Weinfreunde neugierig und schenkt ein. Weit müssen die ihre Nasen nicht in die Gläser stecken, dieser Wein duftet einem regelrecht entgegen. »Und?«, fragt die Winzerin, und schaut erwartungsvoll in die schlürfende Runde. »Wow, das ist, als ob dir ein Engel auf die Zunge pinkelt«, versucht einer seine Begeisterung in Worte zu fassen.

Die Engel werden die weinliebenden Radfahrer noch ein paar Tage begleiten. Denn die elsässische Weinstraße wird in diesem Jahr 60, deswegen wollen sie zumindest einen Teil der 170 Kilometer langen Route zwischen Marlenheim im Norden und Thann im Süden unter die Räder nehmen und sich genüsslich von einem Weindorf zum nächsten treiben lassen. Wohl wissend, dass sie die 100 Dörfer mit ihren fast 1000 Weingütern entlang der Strecke unmöglich in einem Urlaub schaffen können.

Beschwingt verlassen sie Bergheim mit seinen wunderschönen Fachwerkhäusern und einem mittelalterlichen Stadtkern, doch weit kommen sie nicht. Im Nachbarort Rorschwihr, so haben sie von Yvette gehört, residiert Amelie I., die amtierende elsässische Weinkönigin. Ihr wollen die fröhlichen Zecher unbedingt noch ihre Aufwartung machen. Ihre Majestät, die im Alltag Business und Marketing studiert, empfängt ihre Gäste im Weinkeller. Wo sonst? Bei dem einen oder anderen Versuchstropfen erfahren sie jede Menge über die Geschichte des Weinanbaus im Elsass.

Die Römer haben die ersten Rebstöcke an den sonnenverwöhnten Ausläufern der Vogesen gepflanzt. Bereits vor 1000 Jahren bearbeiteten die Menschen in 160 Orten der Region Weinberge. Wenn man weiß, dass die elsässischen Rebensäfte im Mittelalter zu den teuersten und begehrtesten in Europa gehörten, wundert man sich auch nicht mehr darüber, dass es scheint, als ob die Dörfer in einem Dauerwettstreit um das schönste der Schönen liegen. Sie wirken allesamt wie Filmkulissen für Heimatfilme - heimelige Fachwerkhäuser, uralte Zunftzeichen, üppige Blumendeko, wohin man schaut und natürlich überall einladende Winzerhöfe. Der Dreißigjährige Krieg, der diesen Landstrich fürchterlich verwüstete, scheint um sie einen großen Bogen gemacht zu haben. Genau wie um die Weinberge, die die Orte malerisch umschließen. Dabei war der Weinanbau Mitte des 17. Jahrhunderts fast in der Bedeutungslosigkeit verschwunden. Nicht nur die Kriegszerstörungen waren der Grund dafür. Schon ein Jahrhundert zuvor verschwanden immer mehr Weinberge, weil die wichtigsten elsässischen Absatzmärkte Holland und Belgien immer mehr auf billige Weine aus West- und Südeuropa setzten. Erst ab 1871, nach der Angliederung von Elsass-Lothringen an das Deutsche Reich, normalisierte sich die Situation. Bis die Reblaus kam und mit ihr das große Sterben der Weinstöcke.

Dass heute wieder auf 15 600 Hektar Reben wachsen, ist einem radikalen Umdenken nach dem Ersten Weltkrieg zu verdanken. Um der immer größer werdenden Konkurrenz aus dem In- und Ausland begegnen zu können, entschieden die Winzer, nur noch auf Rebsorten zu setzen, die dem Klima und den Böden im Elsass besonders angepasst sind: Riesling, Weiß- und Grauburgunder, Gewürztraminer, Silvaner, Muscat und, als einzige Rotweinsorte, Pinot Noir. Wenn auch Riesling mit 22 Prozent der Anbauflächen die Nase vorn hat, entwickelte sich der Gewürztraminer, der in 19 Prozent aller Weingärten wächst, zum süffigen Markenzeichen des Elsass. Was die Winzer aus dieser Traube machen, ist von außergewöhnlicher Qualität.

Heute entfällt knapp die Hälfte der elsässischen Agrarproduktion auf den Weinanbau. Seit 1953 die Weinstraße eröffnet wurde, steigt seine Bedeutung für den Tourismus stetig. Rund elf Millionen Besucher zählt der Landstrich jährlich, die nicht unwesentlich dazu beitragen, dass die kleinste Region Frankreichs mit 20 750 Euro pro Einwohner das zweithöchste Bruttoinlandsprodukt des Landes erzielt. Der 60. Geburtstag dieser »Goldquelle« wird deshalb auch das ganze Jahr über mit zahlreichen Veranstaltungen gefeiert.

Ein besonderes Highlight war der »1. SlowUp« im Juni, was so viel bedeutet, wie: Schalt mal einen Gang zurück, und gib dich ganz entspannt dem Genuss hin! Für das Event wurde auf 20 Kilometern zwischen Châtenois und Bergheim die Straße gesperrt, einen Tag lang gehörte sie Radfahrern, Fußgängern und Skatern. Winzer und Wirte rückten mit ihren Köstlichkeiten an den Straßenrand, Musiker und andere Künstler sorgten für Unterhaltung, und auch Petrus spielte nach wochenlangem Regen perfekt mit. Rund 15 000 Besucher aus nah und fern ließen sich dieses Fest nicht entgehen. »Wir hatten mit maximal 5000 gerechnet, dieser Ansturm hat uns dann doch total überrascht«, erzählt die Weinkönigin. »Am Abend waren wir alle fix und fertig, doch der Entschluss stand fest, den SlowUp im kommenden Jahr zu wiederholen.«

Wer es ein wenig einsamer mag, der schwingt sich am besten aufs Rad und fährt immer den Wegweisern mit der Traube und dem Glas nach. Sie führen die Besucher mitten durch die Weinberge hin zu trutzigen Burgen und in romantische Dörfer. Wo auch immer sie hinkommen: Überall warten ein gutes Glas Wein und typische elsässische Gerichte darauf, probiert zu werden.

Das einfachste wohl von allen, der Flammkuchen, passt nicht nur besonders gut zu Riesling oder Gewürztraminer, er schmeckt auch nirgendwo besser als frisch aus dem offenen holzbefeuerten Ofen. Dünn ausgewalzter Brotteig, bestrichen mit Crême fraiche oder Quark, Zwiebeln, Speck und etwas Käse drauf - fertig. Etwas aufwendiger in der Herstellung ist der Kougelhopf (Gugelhupf). Dafür aber eignet sich der wahlweise süße oder herzhafte Hefekuchen hervorragend als köstliches Mitbringsel für Zuhause. Im Übrigen sind die Franzosen davon überzeugt, dass der Gugelhupf ein echter Elsässer ist. Denn die Legende erzählt davon, dass die drei Könige, die auf ihrem Rückweg von Bethlehem das Elsass bereisten, von den Bewohnern des Weindörfchens Ribeauvillé besonders herzlich empfangen wurden. Zum Dank sollen sie dafür ihren Gastgebern einen Hefekuchen gebacken haben, dessen Form an einen Turban erinnert. Deshalb feiert man in dem Dorf jedes Jahr am zweiten Sonntag im Juni ein Gugelhupf-Festival. Dass dabei auch der Rebensaft in Strömen fließt, versteht sich von selbst.

● Infos: Atout France - Französische Zentrale für Tourismus, PF 100128, 60001 Frankfurt/Main, E-Mail: info.de@rendezvousenfrance.com, www.rendezvousenfrance.com
● Elsässer Weinstraße: www.routedesvinsdalsace.com
● Infos zum Elsass: www.elsass-weinstrasse.com
● Infos zu Weinen: www.elsässerweine.com
● Weinmuseum: www.musee-du-vignoble-alsace.fr
● Weingut Halbeisen: www.halbeisen-vins.com
● Literatur: »Elsass, Vogesen«, Baedeker, 22,99 €; »Best of Elsass«, Michelin, 12,99 €

Picknick in den Weinbergen
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