Kulturputsch

Fulminante Max-Ernst Retrospektive in der Baseler Fondation Beyeler

  • Martina Jammers
  • Lesedauer: 4 Min.

Zuletzt geriet Max Ernst (1891-1976) in die Schlagzeilen, als seine Werke in den größten Kunstfälscher-Skandal verwickelt waren, den Deutschland je erlebt hat. Ausgerechnet Werner Spies, mutmaßlich der beste Kenner des Künstlers, hatte Bilder, angeblich geschaffen von Max Ernst, für echt erklärt, die in Wirklichkeit der Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi gemalt hatte. Der deutsche Kunsthistoriker hatte damit über Jahre hinweg dem Fälscher Beltracchi und seinen Helfern zugearbeitet. Spies dementierte zunächst, dass er für die Expertisen zu den Gemälden außergewöhnlich hohe Beträge erhalten habe. Im vergangenen Sommer indes musste er schließlich einräumen, dass er für jedes der begutachteten und verkauften Werke Provisionen in Höhe von sieben bis acht Prozent erhalten habe: insgesamt 400 000 Euro. Nichtsdestotrotz beauftragte man Spies, die aktuelle Schau in Basel nun gemeinsam mit Julia Drost zu kuratieren.

»Jede Erscheinung wird von unserem Zauberer erschaffen. Er beraubt jeden Gegenstand seiner Bedeutung, um ihn in einer neuen Wirklichkeit zu erwecken«, schreibt 1923 der Dichter Louis Aragon, gemünzt auf seinen surrealistischen Mitstreiter Max Ernst. Eine solche neue Wirklichkeit beschwört Ernst in seinen frühen Gemälden wie etwa in seinen Wandbildern »Beim ersten klaren Wort« und »Naturgeschichte«, mit denen er 1923 den Wohnsitz von Paul und Gala Éluard in Eaubonne/ Ile-de-France ausmalte. Sämtliche Räume gestaltete er mit fantastischen Zwitterwesen und Landschaften aus, so dass das Anwesen zu einer regelrechten »Villa dei Misteri« geriet. Bei den Besuchern verfehlte diese Ausstattung ihre verstörende Wirkung nicht. Erst 1969 wurden diese Bilder von der Wand abgetragen und als Einzelmotive ausgestellt. Zweifellos ist das in Basel präsentierte »Beim ersten klaren Wort« (1923) eines der Hauptwerke von Max Ernst.

Auch seine Ölgemälde, die in den frühen 1920er Jahren entstanden, zeigen vielfach Bezüge zu seinen Collagen, als deren Übertragung in die Malerei sie verstanden werden müssen. Die Basler Ausstellung kann aus dem Vollen schöpfen und zeigt mit dem dem »Oedipus Rex« (1922), dem »Hausengel (Der Triumph des Surrealismus)« von 1937 und »Die Einkleidung der Braut« (1940) absolute Meisterwerke. Max Ernst gelingt die Entfaltung neuer Bildwelten, indem er Kontexte aufbricht und die Gegenstände in neue Bezüge setzt. So ist sein Bild »Weib, Greis und Blume« (1924) geprägt durch das Offenlegen der Sedimentschichten und durch die Brust der weiblichen Rückenfigur kann man wie durch Bullaugen durchschauen auf den fernen Horizont.

Intensiv widmet sich der »mimimax dadamax« Getaufte nach dem Ersten Weltkrieg der Technik der Collage, wobei er bewusst Gebrauchsgrafik ohne künstlerischen Anspruch als Ausgangsmaterial wählt. Werner Spies nennt Ernsts Collagen einen »Kulturputsch«. Die Ausstellungen, in welche die Kölner Dadaisten Kunst von Dilettanten und Geisteskranken einbezogen, waren als Provokation gedacht. Nach dem Trauma des Weltkriegs, an dem Ernst als Soldat teilgenommen hatte, und der November-Revolution wandten sie sich gegen die Kulturpolitik des Wilhelminischen Kaiserreichs.

Im Unterschied zur politisch bissigen Collage der Berliner Dadaisten verarbeitet Ernst erst Druckstöcke mittels Durchpaustechnik und dann vornehmlich historische Lehrmittel- und Bildvorlagenkataloge, populärwissenschaftliche Zeitschriften, Häkelanleitungen, technische Fotografien und Kunstreproduktionen. Um die Illusion eines kohärenten Bildes zu vermitteln, verschleiert er die Schnittstellen. So wächst in »Katharina ondulata« (1920) die Figur des Deutschen aus einer kantigen Tapete. Und in »Die Kormorane« (1920), die kurioserweise eher wie staksende Flamingos aussehen, ergänzt er die Luftaufnahmen eines Kriegshafens mit dem Foto der Rosette einer gotischen Kathedrale, was assoziieren lässt, dass die schrecklichen Zerstörungen des Krieges auch vor der Kultur nicht Halt gemacht haben. Bildkonstituierend sind nicht zuletzt die Titel seiner Kompositionen, die mitunter in Zusammenarbeit mit seinem Freund, dem Dichter und Maler Hans Arp, entstanden.

Den ganzen Schalk des für seinen Humor bekannten Ernst spiegelt sein provokantes Bild »Die Jungfrau züchtigt das Jesuskind vor drei Zeugen: Breton, Éluard und dem Maler« (1926). Das Gemälde erregte bei seiner ersten Präsentation in Köln heftig die Gemüter und musste auf Geheiß des Kölner Erzbischofs Karl Joseph Schulte entfernt werden. Ein Kirchenvertreter soll die Katholikenversammlung im Kölner Gürzenich mit den Worten geschlossen haben: »Der Maler Max Ernst ist aus der Kirche ausgeschlossen, und ich rufe die Versammlung auf zu einem dreimaligen ›Pfui‹.« Ernst sparte sich damit nach eigenen Angaben die Kirchensteuer.

Die Basler Ausstellung kann durchaus als Rehabilitation von Werner Spies gewertet werden. Schließlich vertrauten ihm zahlreiche Sammler und Museen ihre Ernst-Schätze an. Eine Frage mag er aber partout nicht mehr hören, nämlich ob auch in der aktuellen Schau mit Fälschungen zu rechnen sei.

»Max Ernst - Retrospektive«, bis 8. September in der Fondation Beyeler in Riehen/Basel. Katalog.

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