Gabriel hofft auf SPD-Ergebnis über 30 Prozent
DGB-Vertreter: Rot-Rot-Grün könnte für Beschäftigte »wichtige Dinge bewegen« / Grüne Spitzenkandidatin: Kooperation mit Linkspartei ist »Klamauk«
Berlin (nd). Unmittelbar vor einem Treffen von Spitzenpolitikern von SPD und Grünen, bei dem sowohl politische Ziele im Falle eines Wahlsieges als auch die schwachen Umfragewerte von Rot-Grün erörtert werden, sieht der Vorsitzende der Sozialdemokraten, Sigmar Gabriel, »eine große Chance, auch über 30 Prozent zu kommen«. In einem Interview mit der »Neuen Presse Hannover« sagte der SPD-Politiker, ein solches Ergebnis wäre »ein Riesensprung nach vorne«. Bei der Bundestagswahl 2009 hatten die Sozialdemokraten nur 23 Prozent erreicht, in Umfragen liegt die Partei derzeit bei 23 bis 26 Prozent.
Die SPD hatte in den vergangenen Jahren immer mehr Boden an andere Parteien verloren - 2002 lagen die Sozialdemokraten bei der Bundestagswahl noch gleichauf mit der Union bei 38,5 Prozent. Gabriel verwies dazu darauf, dass es Mitte-Links-Lager drei bis vier Parteien gebe, im Mitte-Rechts-Lager dagegen nur eineinhalb. »Deshalb ist die CDU/CSU prozentual stärker. Aber die SPD ist und bleibt das strategische Zentrum einer Mehrheit diesseits der Union«, reklamierte der Parteichef eine besondere Rolle für die Sozialdemokraten.
Diese Äußerung ist vor dem Hintergrund der Diskussion über die Unmöglichkeit einer rot-rot-grünen Kooperation nach den Bundestagswahlen am 22. September interessant. Immer wieder hatten führende Sozialdemokraten eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei ausgeschlossen. So auch Gabriel nun wieder in einem Interview mit der »Leipziger Volkszeitung«. Eine Koalition mit der Linkspartei käme nicht in Frage, solange diese sich nicht für einen der vielen Parteiflügel entscheiden könne, sagte der Sozialdemokrat. Wenn man nicht wisse, ob das am Morgen Verabredete am Abend noch gelte, »kann man keine verlässliche Regierung bilden«.
Der Fraktionsvize der Linken im Bundestag, Dietmar Bartsch, sagte dazu zu Wochenbeginn im Sender Phoenix, »die SPD hat sich sehr klar positioniert und hat gesagt, sie will das nicht. Mit teilweise völlig irren Begründungen. Demnach wird es nach dem 22. September kein Rot-Rot-Grün geben können.« Die Union, so berichtet es Spiegel online, wolle trotzdem »mit deutlichen Warnungen vor einem Linksbündnis« das »bürgerliche Lager an die Urnen treiben«.
Bartsch verwies darauf, dass es eine mögliche Regierungsbeteiligung nicht von der Linkspartei blockiert werde. »Wir schließen gar nichts aus. Wir machen diese Fragen an Inhalten fest. Ich finde diese Ausschließeritis, die es in Deutschland gibt, absurd.« Der Politiker erinnerte daran, dass es auf Landesebene in der Praxis bereits solche Kooperationen gab und gibt.
Auch der Vorsitzende der Linksfraktion, Gregor Gysi, erneuerte seine Kritik an der abweisenden Haltung der SPD. Sollte als Ergebnis der Wahl »eine Mehrheit jenseits von CDU und FDP« möglich sein, werde »die SPD größte Schwierigkeiten haben zu erklären, warum sie sie nicht nutzt«, sagte Gysi dem »Weser-Kurier«. Seine Partei sei »auf alle Fälle gesprächsbereit«. Er rechnete zugleich mit einem Umdenken bei den Sozialdemokraten, die einsehen müssten, dass sie ohne die Linkspartei »keinen Kanzler« stellen könnten.
Derweil verwies Grünen-Fraktionschefin Renate Künast eine rot-rot-grüne Zusammenarbeit erneut in den Bereich des Unmöglichen. Gysis Werben um zumindest Gespächsbereitschaft hält Künast »für Klamauk. Er versucht irgendwie ins Fernsehen zu kommen und dann erzählt er ein paar Dönekes, wie man im Ruhgebiet sagen würde«, sagte die Politikerin gegenüber dem Sender Phoenix. »Es geht darum, eine handlungsfähige Regierung zu schaffen, die auch in der Lage ist, zu agieren.« Dies sei mit der Linkspartei nicht möglich, da diese weder bei der Außen- noch bei der Europapolitik regierungsfähig sei. Künast warf Linkspartei vor, nicht einmal geltendes EU-Recht als Grundlage zu akzeptieren.
Derweil mahnte der Landesvorsitzende des Gewerkschaftsbundes in NRW, Andreas Meyer-Lauber, die Möglichkeiten einer rot-rot-grünen Zusammenarbeit ernsthaft zu prüfen. Am Rande einer Betriebsrätekonferenz in Herne sagte er der »Westdeutschen Allgemeinen Zeitung«, die Gewerkschaften hätten »mit einer punktuellen rot-rot-grünen Zusammenarbeit in NRW nicht die schlechtesten Erfahrungen gemacht. Es wäre auch im Bund möglich, mit Hilfe der Linken einige aus Arbeitnehmersicht wichtige Dinge zu bewegen. Zum Beispiel endlich einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn durchzusetzen, den sich eine breite Mehrheit der Deutschen wünscht. Die Politik sollte sich öffnen für neue Bündnisse, die die Arbeitnehmer entlasten.«
Auf derselben Konferenz sagte die Spitzenkandidatin der Linkspartei in Nordrhein-Westfalen, Sahra Wagenknecht, sie »hoffe, dass die SPD über ihren Schatten und vielleicht über ihren Kanzlerkandidaten springt«. Dies wurde mit viel Beifall quittiert, wie die Zeitung berichtet. Am Donnerstag treten zudem auch die Bundesvorsitzenden von SPD, Grünen und Linkspartei vor gewerkschaftlich orientierten Beschäftigten im Norden auf. Unter dem Motto »Arbeit - sicher und fair« werden am Mittag SPD-Chef Gabriel, die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth und Linken-Chef Bernd Riexinger auf einer Bezirkskonferenz der IG Metall Küste über Themen wie die Rente mit 67, die Energiewende und Werkverträge.
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!