Opa-Faktor und Gebissputzmittel

Hannover wird seit 1946 von der SPD regiert - nun will die CDU mit einem Star-Anwalt punkten

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.
Parallel zur Bundestagswahl wird am Sonntag in Niedersachsens rot-grün geführter Landeshauptstadt Hannover ein neuer Oberbürgermeister gewählt. Seit 46 Jahren bekleiden SPD-Männer dieses Amt. Die CDU will jene Tradition brechen und bietet den Star-Anwalt Matthias Waldraff auf.

Wenn man in Hannover vor das Opernhaus einen Besen stellt und ein Schild mit der Aufschrift »OB-Kandidat der SPD« daran pappt, dann wird der Besen gewählt. Oft ist das zu hören, wenn die Wahl eines Stadtoberhauptes ansteht. Hintergrund der Besen-Mär ist die seit 1946 ununterbrochene Reihe der Oberbürgermeister mit sozialdemokratischem Parteibuch. Bislang letzter in dieser Serie war Stephan Weil, der nach der Landtagswahl im Januar vom OB-Sessel auf den des Ministerpräsidenten wechselte.

Fortsetzen will die SPD ihre OB-Tradition mit Stefan Schostok. Bis zum jüngsten Regierungswechsel war er im Landtag SPD-Fraktionschef. Ein Mann der leisen Töne, freundlich, konziliant. Als fleißig gilt er und nett, aber auch als Kandidat, zu dem nicht wenige Hannoveraner fragten: Wer ist Schostok? Im Wahlkampf bemüht sich der 49-Jährige eifrig, diese Wissenslücke zu füllen. Er zeigt sich im Seniorentreff, auf dem Wochenmarkt, bei türkischen Familien, spaziert durch Stadtteile, sagt Einzelhändlern guten Tag. Sich bekannt machen, heißt die Devise. Denn ein Fraktionsvorsitz im Landtag beschert nicht automatisch Popularität oder Promistatus. Auf diesen aber setzt die CDU mit ihrem 61 Jahre alten Kandidaten Matthias Waldraff. Bundesweit ist er durch spektakuläre Prozesse um Tötungsdelikte bekannt geworden.

Aufsehen erregte Waldraff, als er 1999 Strafanzeige gegen Altkanzler Helmut Kohl stellte: wegen Verdachts der Untreue im Zusammenhang mit der Spendenaffäre, die seinerzeit die Union erschütterte. Diese hat dem Juristen seine Attacke gegen den CDU-Übervater offenbar nicht übel genommen, trug sie ihm doch die OB-Kandidatur an, kaum, dass er im März 2013 in die CDU eingetreten war.

Bei vielen Themen der Stadtpolitik unterscheiden sich die Kandidaten kaum. Beide wollen bessere Kinderbetreuung, bessere Straßenverhältnisse, bezahlbare Wohnungen. Hier und da gibt es Nuancen, etwa bei der Verkehrspolitik. Schostok setzt Akzente zugunsten der Radler, Waldraff für Autofahrer.

Eine Umfrage der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung brachte 54 Prozent für Schostok, 42 Prozent für Waldraff. Bei der OB-Wahl 2006 hatten 35 Prozent für den damaligen CDU-Kandidaten Dirk Toepffer votiert, 54 Prozent für Stephan Weil. Können die Sozialdemokraten die OB-Residenz erfolgreich verteidigen, nicht zuletzt mit den Wählern, die nach dem Motto »Schon Opa hat SPD gewählt« ihr Kreuz machen? Oder ist Waldraff eine Alternative - auch für jene, die seit Jahren von rotem Filz im Rathaus sprechen und behaupten, ohne SPD-Mitgliedschaft sei keine attraktive Position im städtischen Dienst zu erklimmen? Waldraff setzt ganz auf seine Person. Auf keinem seiner Wahlposter sind die Buchstaben CDU zu sehen. Nur der Name, ein kurzer Werbespruch, das Porträt. Er könne als Model für Gebissputzmittel agieren, meint die Konkurrenz, zeigt doch der Anwalt auf seinen Plakaten strahlend weiße Zähne.

Aber er ist kein Beißer. In dieser Rolle gefallen sich zurzeit seine CDU-Parteifreunde auf Landesebene. Emsig suchen sie nach Material gegen den politischen Gegner, sind dabei jüngst auf ein umstrittenes Seminar gestoßen. Der mittlerweile geschasste Staatssekretär Udo Paschedag (Grüne) soll es für Führungskräfte des Agrarministeriums angeordnet haben. Diese, heißt es, mussten mit Bambusstöcken rhythmisch auf den Boden klopfen, das verbessere die Kommunikationsfähigkeit. Rund 10 000 Euro Steuergelder habe das gekostet, schimpft die CDU. In ihr Taktieren gegen die rot-grüne Regierung dürfte sie die Überlegung einbezogen haben: Was SPD und Grünen schadet, nutzt auch unserem OB-Kandidaten.

Neben Schostok und Weil kandidieren der 63-jährige Ratsherr Lothar Schlieckau für die Grünen und für die LINKE Maren Kaminski (34). Ernsthafte Chancen auf die Chefposition haben beide nicht.

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