Herberge der Verzweifelten

Im mexikanischen Tapachula hilft eine Christin kostenfrei verletzten Migranten

  • Knut Henkel
  • Lesedauer: 3 Min.

Bis zu 300 000 Migranten aus Mittelamerika durchqueren jährlich Mexiko gen USA. In Tapachula, an der Grenze zu Guatemala, steht die einzige Herberge, wo Kranke und Verletzte gesund gepflegt werden - auch, wenn sie keine Papiere haben.

»Es war so heiß - und dann habe ich einen Hitzschlag bekommen. Mir wurde ganz schummerig, schließlich ließ ich los und rutschte runter.« Jessica fiel aufs Gleisbett und das rechte Bein geriet unter die stählernen Radreifen, wurde zerquetscht und abgetrennt.

Dank der Hilfe eines Anwohners landete die Frau aus El Salvador im Krankenhaus von Juchitán im Bundesstaat Oaxaca. »Nach neun Tagen wurde ich entlassen und sollte dann sofort abgeschoben werden. Doch ein Pater hat bei der Migrationsbehörde dafür gesorgt, dass ich zu Doña Olga kam«. Olga Sánchez heißt die gute Frau von Tapachula. Die 56-jährige Frau mit den streng zurückgekämmten Haaren, die immer weiße Kleidung trägt, kümmert sich um die Opfer. Um diejenigen, die runterfallen, unter die Räder des Zuges geraten, ein Arm, ein Bein oder mehr verlieren. Hunderte von Opfern sind es jedes Jahr auf der 3200 Kilometer langen Strecke gen Norden und wer Glück hat, landet in der »Herberge zum guten Hirten Jesus Christus«.

Jessica Patricia Ochoa Meléndez, so ihr ganzer Name, hatte Glück und wurde nicht an Krücken und ohne Unterschenkel zurück nach Hause geschickt. Die junge Frau erhielt in der aus einer Handvoll Gebäuden bestehenden Herberge vor den Toren von Tapachula, einer Provinzstadt rund dreißig Kilometer entfernt von der Grenze zu Guatemala, eine Prothese. Mit der hat sie das Gehen neu gelernt und so wie sie haben viele die Herberge passiert, die etwa Platz für fünfzig Menschen bietet. Einige wie Donar, der im Rollstuhl sitzt, weil ihm der Zug beide Beine nahm, oder Manuel, der eine beschädigte Wirbelsäule hat, leben in der Herberge und machen sich nützlich. Sie nähen, besticken Bettwäsche oder fertigen Armbänder, die verkauft werden, um die Herberge mitzufinanzieren. Ansonsten lebt die Herberge von Spenden, der Bäckerei und dem kleinen Supermarkt, wo vor allem die Nachbarn aus dem Vorort von Tapachula einkaufen.

1996 begann Doña Olga mit ihrem Hilfsprojekt. »Ich landete mit Darmparalyse im Krankenhaus und die Ärzte machten mir wenig Mut. Ich überlebte und so begann ich denen zu helfen, die allein auf sich gestellt sind - den Migranten«, erklärt sie. Nach Papieren und Geld wird bei ihr nicht gefragt und längst schicken Kirchen und Krankenhäuser die Gestrandeten zur »Herberge zum guten Hirten Jesus Christus«.

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