Gesellschaftskritik findet im IPCC nicht statt

Chris Methmann über Bedeutung, Leerstellen und die Kritik an den UN-Weltklimaberichten

  • Lesedauer: 3 Min.
Chris Methmann (Uni Hamburg) forscht zu Klimapolitik, Klimasicherheit und Klimamigration; er ist aktiv bei Attac. nd-Redakteur Guido Speckmann zur Relevanz, politischen Wirksamkeit und Nachhaltigkeit der Berichte des Weltklimarates IPCC.

nd: Sind die Ergebnisse des ersten Teils des IPCC-Sachstandsberichts für Sie überraschend?
Methmann: Überhaupt nicht, weil der IPCC letztendlich nur die wissenschaftlichen Erkenntnisse bündelt, die in den letzten Jahren schon publiziert worden sind - sozusagen ein »Best of« der Klimawissenschaft.

Welche Bedeutung haben die Weltklimaberichte?
Der IPCC hatte für die nationale und globale Klimapolitik eine herausragende Bedeutung - und hat sie zum Teil noch immer. Ohne ihn gäbe es die gegenwärtige Klimapolitik sicher nicht, weil sich die Politik nur durch die wissenschaftlichen Erkenntnisse des IPCC hat überzeugen lassen, klimapolitisch überhaupt erst aktiv zu werden. Des Weiteren stellt der Weltklimarat in der Wissenschaft einen gewissen Konsens her.

Der IPCC wird als »merkwürdiges Zwitterwesen aus Wissenschaft und Politik« kritisiert. Andere sagen, dass gerade die Zusammensetzung des Gremiums aus Wissenschaftlern und Politikern ein Vorteil sei.
Beide Positionen haben Recht. Grundsätzlich lassen sich zwar die Logiken von Wissenschaft und Politik nicht richtig miteinander vereinbaren. Andererseits sorgt die Beteiligung der Regierungen dafür, dass der politische Einfluss größer ist.

Gibt es Beispiele dafür, dass die Politik auf einige Formulierungen oder zentrale Aussagen eingewirkt hat?
Im bedeutenden Umfang ist mir das nicht bekannt. Hier und da werden aber vermutlich schon unbequeme Ecken und Kanten abgeschliffen.

Im IV. Sachstandsbericht gab es ja tatsächlich Fehler. Wie wurde darauf reagiert?
Zu radikalen Änderungen hat das nicht geführt. Es wurden aber durchaus neue Standards diskutiert. So müssen Wissenschaftler jetzt eine Erklärung über Interessenkonflikte unterzeichnen. Zudem gibt es neue Verfahrensregeln der Begutachtung und für die Kommunikation von Ergebnissen. Die Fehler waren aber minimal und im Übrigen hat eine Kommission die Vorwürfe überprüft - mit dem Ergebnis, dass die wesentlichen Aussagen zutreffend sind.

Sind die IPCC-Sachstandsberichte für Regierungen nur ein Vorwand, Entscheidungen aufzuschieben, wie manche Kritiker meinen?
Tendenziell ja. Die Politik wollte durch die Gründung des IPCC eine politische in eine wissenschaftliche Frage verwandeln. Wenn nur zu 95 Prozent gesichert ist, dass die Erderwärmung menschengemacht ist, so kann argumentiert werden, wir warten, bis das endgültig geklärt ist. Man ist dem Glauben aufgesessen, dass man so die Politik verwissenschaftlichen kann, hat aber damit die Wissenschaft politisiert. So werden die Klimaskeptiker von der fossilen Lobby unterstützt. Sie betreiben »Wissenschaft« im politischen Auftrag.

Wie werden die Klimaberichte in linken Bewegungen diskutiert?
Es gibt einen Konsens, dass die Berichte ernst genommen werden müssen. Die Kritik lautet: Im IPCC wird der Klimawandel häufig auf eine rein technisch-naturwissenschaftliche Frage reduziert. Aber der CO2-Ausstoß vollzieht sich nicht auf mysteriöse Weise. Er ist das Ergebnis sozialer Prozesse und Praktiken. Wir fahren Auto, wir verbrennen Kohle. Nicht in Frage gestellt wird in den Berichten die gesellschaftliche Verfasstheit des Energiesystem. Zum Beispiel die Frage, ob man tatsächlich möchte, dass Großkonzerne große Kraftwerke bauen oder ob man die Energieerzeugung nicht eher in die Hände der Bürgerinnen und Bürger legen will. Gesellschaftskritik findet im IPPC nicht statt.

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