Beitrag für eine stabile Demokratie

  • Sven Kohlmeier
  • Lesedauer: 4 Min.

Zugegeben, politisch wäre im Moment manches leichter ohne die Fünf-Prozent-Hürde. Nicht nur für die FDP, die in den letzten Tagen vor der Wahl noch um Zweitstimmen geradezu bettelte. Nicht nur für die Alternative für Deutschland, die als neue Partei voller alter Professoren zwar ein erstaunliches Ergebnis, aber keinen wirklichen Erfolg feiern konnte.

Paradoxerweise können sich die Parteien, die in den Bundestag eingezogen sind, nicht über die Auswirkungen der Fünf-Prozent-Hürde freuen. Die CDU, deren Spitzenkräfte am Wahlabend noch sangen: »An Tagen wie diesen, wünscht man sich Unendlichkeit!«, musste schon am nächsten Morgen einsehen, dass sie wegen der Klausel ihren Koalitionspartner nur zu einem sehr hohen Preis finden wird. Die SPD, die kein ausreichendes Wahlergebnis eingefahren hat, mit dem sie sich ein bisschen von der letzten Großen Koalition und dem katastrophalen Wahlergebnis von 2009 erholen konnte, sieht sich missvergnügt erneut bedrängt, solch ein Bündnis einzugehen. Die Grünen, die immer mal wieder mit der Option Schwarz-Grün liebäugeln, haben keinen in der Parteispitze, der verhandlungsfähig ist. Nur der Vorsitzende der Linksfraktion im Deutschen Bundestag, Gregor Gysi, kann der Situation etwas abgewinnen: Käme es zu einer Großen Koalition, würde er Oppositionsführer im Deutschen Bundestag. Aber auch er hatte mit der PDS schon so seine Erfahrungen mit der Fünf-Prozent-Hürde.

Die Schwelle ist für die Parteien unbequem. Hinzu kommt, dass rekordverdächtig fast 16 Prozent der Zweitstimmen aller Wählerinnen und Wähler am Ende nicht zählen. Das muss bedenklich stimmen.

Dennoch plädiere ich dafür, die Hürde beizubehalten, denn es gibt gute Gründe dafür. In der Weimarer Republik gab es keine Sperrklausel, somit war jede gewählte Partei im Parlament vertreten. Dies führte unweigerlich zu einer Zersplitterung des Parlaments. Infolge dessen wurde die Koalitions- und Regierungsbildung maßgeblich erschwert. So waren zur Reichstagswahl 1930 mehr als 17 Parteien im Parlament vertreten. Der Großteil davon hatte unter fünf Prozent der Stimmen erringen können. Insgesamt entfiel auf die Parteien, die weniger als fünf Prozent der Stimmen erhielten, ein Viertel der Sitze im Parlament. Viele dieser Kleinstparteien hatten sogar zu wenige Mandate, um in allen Ausschüssen des Reichstages vertreten zu sein.

Die Gründungsväter der Bundesrepublik haben daraus die Lehre gezogen und zu Gunsten der Stabilität der Demokratie die Fünf-Prozent-Hürde eingeführt. Seitdem sind die Parteien in der Verantwortung, ein Programm zu entwickeln, das alle Teile der Bevölkerung zu einem gewissen Maße berücksichtigt. Dies verhindert Klientelpolitik, die durch monothematische Parteien ins Parlament getragen würde. Gleichzeitig erleichtert der Zwang, sich weiten Teilen der Bevölkerung programmatisch zu öffnen, die Koalitionsbildung und Regierungsfähigkeit. Für die Wählerinnen und Wähler ist es vielleicht überzeugend, monothematische Parteien zu wählen. Das historische Argument lässt sich damit nicht widerlegen.

Es hat sich gezeigt, dass es nicht genügt, gegen die Eurorettungspolitik zu sein und schnell ein paar konservative Positionen daneben zu setzen. Es war zu wenig, für einige die Steuern zu senken und ansonsten als Funktionspartei eine Mehrheit für Angela Merkel zu sichern. Dass die Fünf-Prozent-Hürde nicht unüberwindlich ist, zeigt das Abschneiden der Piratenpartei. Furios schafften sie 2011 den Einzug ins Berliner Parlament und danach 2012 auch im Saarland, in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen.

Erleichtert wird das Überschreiten der Hürde durch große Aufmerksamkeit der Medien für neue, erfolgversprechende politische Bewegungen. Parteien, die die Klausel zum Deutschen Bundestag nicht schaffen, stehen dennoch nicht schutzlos dar. Liegt das endgültige Wahlergebnis der letzten Bundestagswahl über 0,5 Prozent, hat die Partei Anspruch auf staatliche Teilfinanzierung - immerhin bis zu 0,85 Euro je gültige Stimme. Damit können Parteien die außerparlamentarische Arbeit bestreiten.

Es bleibt also dabei: Die Bundesrepublik ist eine der stabilsten Demokratien der Welt. Die Fünf-Prozent-Hürde leistet dazu einen wichtigen Beitrag. Deshalb sollte sie bleiben. Auch wenn sie einmal unbequem ist und man es sich gerne etwas leichter machen möchte.

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