Private Krankenkasse wollte Kostenersatz beschränken
Rechtsstreit um zu teures Hörgerät
Ein schwerhöriger Münchner ist privat krankenversichert. In den Bedingungen der Versicherung stand folgende Klausel: »Kosten für Hörhilfen« werden nur bei »angemessener Ausführung« erstattet.
Auf diese Klausel berief sich die Versicherung, als der Versicherte eine hohe Rechnung einreichte. Der behandelnde Arzt hatte ihm Hörgeräte für beide Ohren verordnet, die zusammen 4105 Euro kosteten. Doch die Versicherung erstattete nur 2124 Euro.
Das Argument: Nach den Vertragsbedingungen müsse sie nur Geräte für »durchschnittliche Anforderungen« finanzieren. Die individuellen Bedürfnisse Einzelner könnten nicht den Ausschlag geben, sonst stiegen die hohen Kosten für Hilfsmittel endlos an. Die Versicherten könnten vorher nachfragen und wüssten dann, was auf sie zukomme.
Der Schwerhörige kritisierte die Klausel als unklar: Die Formulierung »in angemessener Ausführung« sei schwammig. Außerdem seien für ihn eben nur die verschriebenen Hörgeräte angemessen. Ohne sie könnte er sich kaum noch mit anderen Menschen unterhalten, weil er nichts verstehe.
Das Amtsgericht München schlug sich auf die Seite des Versicherten und erklärte mit Urteil vom 31. Oktober 2012 (Az. 159 C 26871/10) die Vertragsklausel für unwirksam. Die Tarifbestimmung benachteilige die Versicherten unangemessen. Vertragsklauseln müssten die Bedingungen für eine Leistung so genau erläutern, dass die Versicherten ihre Rechte einfach und ohne fremde Hilfe feststellen könnten.
Die Versicherung verschaffe sich mit unbestimmten, unklaren Begriffen in der strittigen Klausel einen dehnbaren Spielraum: Sie könne auf dieser Grundlage ihre Leistungspflicht fast beliebig definieren. Man könnte sie im Interesse der Versicherten so auslegen, dass eine »angemessene Ausführung« erst dann gegeben sei, wenn die konkrete Hörstörung des Versicherungsnehmers durch ein Hörgerät adäquat ausgeglichen werde.
Dabei käme es auch darauf an, welchen Beruf der Versicherte ausübe und welche Alltagssituationen er oder die Hörgeräte bewältigen müssten.
Die Klausel könnte man aber auch so interpretieren, dass nur die Preise für eine Ausführung mittlerer Art und Güte erstattet werden. Unklar bliebe dann, welche Qualität dem Durchschnitt entspreche, angesichts der breiten Palette der zahlreichen Anbieter. Die Versicherten wüssten also nicht, was auf sie »zukommt«.
Für die Versicherung sei es zumutbar, Preisgrenzen anzugeben, bis zu deren Höhe die Kosten eines Hörgeräts ersetzt werden. Das funktioniere, wie vergleichbare Regelungen für Brillen und Kontaktlinsen zeigten. Für Versicherte sei es dagegen unzumutbar, selbst eine Marktanalyse durchzuführen oder sich auf die Marktanalyse des Versicherers zu verlassen, um ihre Ansprüche einschätzen zu können.
Nach dieser Entscheidung muss das Versicherungsunternehmen dem Kläger aus München die Kosten der zwei Hörgeräte in voller Höhe ersetzen und dürfe nur seine Selbstbeteiligung abziehen. jur-press
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