Ganz in Rot

Julius Fucik über seine »Reise nach München«

  • Klaus Haupt
  • Lesedauer: 3 Min.

Ich hörte Schritte und zog mich hinter ein Gebüsch zurück, aber es war schon zu spät. Über mir tauchte braune Farbe auf. Ein SA-Mann in voller Uniform. Ich hatte einen komischen Geschmack auf der Zunge. So eine Begegnung ausgerechnet am Ende des Weges, den ich ohne Unfall zurückgelegt hatte...» So beginnt die Schilderung seiner letzten Begegnung mit einem Deutschen auf dieser außergewöhnlichen Reise.

Illegal war Julius Fucik im Juli 1934 aus dem Böhmerwald über die Grenze nach Deutschland gegangen und nach München gefahren. Es war unmittelbar nach der «Nacht der langen Messer» vom 29. auf den 30. Juni. In dieser Nacht, von den Nazis als «Röhm Putsch» benannt, hatte Hitler den Chef der SA und mit ihm eine Gruppe führender Spießgesellen kaltblütig erschießen lassen.

Fucik hatte die gefahrvolle Reise unternommen, um sich in dieser Situation ein eigenes Bild von den Zuständen in Deutschland zu machen. Er wollte erfahren, wie die Menschen denken, sich verhalten, wie sie möglicherweise handeln könnten. Er wollte seinen Landsleuten einen Augenzeugenbericht aus dem großen Nachbarland liefern. Seine aktuellen Eindrücke verband er mit Erlebnissen früherer Deutschlandbesuche, mit gravierenden Vorgängen in den zurückliegenden Jahren. Dem Leser vermittelte er auf diese Weise ein an Tatsachen reiches Bild der jüngsten deutschen Geschichte. Unmittelbar nach der Rückkehr ist die Reportage in drei Fortsetzungen von der «Tvorba», der legendären Prager Wochenschrift für Literatur, Politik und Kunst, veröffentlicht worden, deren Eigentümer und Chefredakteur Fucik bis zum Einmarsch der deutschen Truppen im März 1939 gewesen ist.

Über lange Zeit ist diese Reportage nicht wieder veröffentlicht worden. Fuciks Frau Gusta und der Literaturwissenschaftler Ladislav Stoll, sein bester Freund, haben sie nicht in die mehrbändige Buchausgabe mit Texten verschiedener Genres aus mehreren Jahrzehnten aufgenommen, mit deren Herausgabe sie schon 1945 begonnen hatten. Der Grund: Obwohl die «Reise nach München» durch eine lebensnahe Schilderung von vielfältigen Begegnungen und Gesprächen mit Deutschen besticht, hat sie einen entscheidenden Fehler: Fucik hatte - wie viele vor ihm schon nach der braunen Machtübernahme - die öffentliche Stimmung falsch eingeschätzt. Er meinte, Deutschland stünde vor einem Bürgerkrieg. Nach allem, was die deutschen Faschisten inzwischen angerichtet hatten, wollten die beiden Herausgeber in der aufgeheizten Nachkriegsstimmung diese Fehleinschätzung des Autors der «Reportage unter dem Strang geschrieben» den Lesern der Tschechoslowakei nicht zumuten.

Mit dem Abstand von Jahrzehnten hat die Fucik-Gesellschaft in Prag unlängst die «Reise nach München» erneut publiziert. Und zwar komplett in einer Ausgabe - ein interessantes Zeitzeugnis, das aufschlussreich ist für Leser unserer Zeit. Zum 70. Jahrestag der Ermordung des kommunistischen Journalisten und Schriftstellers - am 8. September 1943 war er in Berlin-Plötzensee hingerichtet worden - ist die Reportage erstmals in Deutschland erschienen. Es ist ein auffallend schön gemachtes Büchlein in rotem Einband.

Julius Fucik: Eine Reise nach München. Juli 1934. A. d. Tschech. v. Helga Katzschmann. Wiljo Heinen, 64 S., geb., 10 €.

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