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Wirklich »historische« Wahlen in Kosovo?

Das von der EU erzwungene April-Abkommen zwischen Belgrad und Priština steht am Sonntag auf dem Prüfstand

  • Detlef D. Pries
  • Lesedauer: 3 Min.
Selten werden Kommunalwahlen als »historisch« bezeichnet. Kosovos Präsidentin Atifete Jahjaga scheut sich jedoch nicht vor solcher Bewertung der Gemeindewahlen am Sonntag.

Erstmals seit Kosovos Unabhängigkeitserklärung im Februar 2008 finden Wahlen im ganzen Land am gleichen Tag statt, begründet die ehemalige Polizeibeamtin Atifete Jahjaga, seit 2011 Kosovos Präsidentin, den »historischen« Charakter der Abstimmung am 3. November. Auch die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton sieht in dem Wahlakt ein »Schlüsselmoment für Kosovos Zukunft«. Beide Damen hoffen, dass damit ein Schritt zur Eingliederung der serbischen Minderheit in die zu mehr als 90 Prozent von Albanern bewohnte Republik Kosovo vollzogen wird. Dafür hat insbesondere Baroness Ashton nach eigenen Worten »hart gearbeitet«.

Mehr als ein Dutzend Mal hatte sie die Regierungschefs Serbiens und Kosovos, Ivica Dačić und Hashim Thaçi, nach Brüssel bestellt, um ihnen ein Abkommen über »Prinzipien zur Normalisierung der Beziehungen« abzuringen. Bisweilen ging es wohl heftig zu bei diesem Trialog, doch die Belgrader Regierung wünschte sich sehnlich das Versprechen der EU, Serbien so bald wie möglich zu Beitrittsverhandlungen einzuladen. Und Priština strebt nach einem Assoziierungsabkommen mit der Union. Vortreffliche Druckmittel für Ashton, die früheren Erzfeinde zu einer Vereinbarung zu bewegen. Zu den Kernpunkten des am 19. April unterzeichneten Abkommens gehörte die Zusage Belgrads, die Serben in Kosovo, die mit großer Mehrheit alle bisherigen von Priština organisierten Wahlen boykottiert hatten, diesmal zur Teilnahme aufzurufen. Im Gegenzug soll eine neu zu bildende »Gemeinschaft serbischer Kommunen in Kosovo« weitgehende Autonomierechte erhalten.

»Verrat«, riefen daraufhin die albanischen Nationalisten, die Thaçi vorwerfen, den Serben zu große Zugeständnisse gemacht zu haben. »Verrat«, riefen aber auch die serbischen Nationalisten vor allem im Gebiet nördlich von Kosovska Mitrovica, wo Serben kompakt siedeln und die Behörden in Priština bisher keinerlei Einfluss haben. Und während der serbische Premier Dačić seine Landsleute in Kosovo aufrief: »Nehmt an den Wahlen teil, nehmt die Macht in eure Hand und arbeitet für Serbien«, fordern Plakate und Aufkleber in Nordkosovo »100 Prozent Boykott!« Unterstützt wird dieser Appell unter anderem von der oppositionellen Demokratischen Partei Serbiens (DSS) des ehemaligen Regierungschefs Vojislav Koštunica.

Gegenseitige Vorwürfe über Verstöße gegen das Brüsseler Abkommen tauschten aber auch dessen Unterzeichner aus: Die Wahlpapiere dürften keine Staatssymbole der von Serbien nach wie vor nicht anerkannten »Republik Kosovo« aufweisen, verlangte Belgrad. »Zu spät«, hieß es aus Priština, das Material sei schon gedruckt. Jetzt werden die Wappen auf den Dokumenten für den Norden überklebt oder abgeschnitten.

Ursprünglich hatte Priština selbst Politikern aus Serbien, die zur Wahlteilnahme aufrufen wollten, die Einreise verweigert. Dem serbischen Kosovo-Minister Aleksandar Vulin wurde sogar mit Verhaftung gedroht. Doch die Kosovo-Behörden mussten einlenken: Eine Reise Dačićs in die serbische Enklave Gračanica firmierte in der Lesart seines Kollegen Thaçi als »Besuch religiöser Stätten«, Ermittlungen gegen Vulin wegen »unerlaubten Grenzübertritts« wurden eingestellt.

Beklagt wird nicht nur in Belgrad, dass dem Großteil der 250 000 Serben, die seit 1999 aus Kosovo vertrieben wurden, die Wahlteilnahme verwehrt wird, während das offizielle Wahlregister mit 1,8 Millionen Namen mehr Stimmberechtigte aufführt, als Kosovo erwachsene Einwohner hat. Und die besagte »Gemeinschaft serbischer Kommunen«, nach serbischen Vorstellungen ein gestaltungsfähiges Autonomieorgan, soll nach den Worten Atifete Jahjagas nur eine Art Beratungsgremium ohne Entscheidungsgewalt sein.

Wenn sich Umfrageergebnisse bewahrheiten, wonach am Sonntag lediglich 20 Prozent der Serben in Kosovo dem Aufruf zur Wahl nachkommen wollen, wird man die Abstimmung jedenfalls kaum als »historisch« bezeichnen können.

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