Klassenfahrten sind erst mal gestrichen

Niedersachsen: Protest der Lehrer gegen Mehrarbeit

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.

»Niedersachsen schnürt das größte Bildungspaket aller Zeiten«, hatte Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) im Juli angekündigt und die Kosten dafür mit 420 Millionen Euro beziffert. Darin enthalten sind 260 Millionen für den Ausbau der Ganztagsschulen und 80 Millionen Euro für die frühkindliche Bildung. Zur Finanzierung sollen auch die Gymnasiallehrer beitragen, indem sie künftig 24,5 statt bisher 23,5 Wochenstunden leisten, effektiv 45 Minuten plus fünf Minuten Wegezeit mehr als jetzt.

Rechnerisch werden dadurch laut rot-grüner Landesregierung rund 80 Millionen Euro erwirtschaftet, die in den Bildungsetat fließen. Zu bedenken gab die Ministerin, dass Niedersachsen eine der geringsten Arbeitszeiten für Gymnasiallehrer habe; in Schleswig-Holstein beispielsweise seien 27 Wochenstunden Pflicht. Und noch eine unangenehme Nachricht gab es im Juli für die Lehrer: Wie bisher dürfen sie erst vom 60. Lebensjahr an eine Wochenstunde weniger arbeiten als zuvor. Die Pädagogen hatten gehofft, diese Grenze werde auf 55 Jahre gesenkt.

Mit Demonstrationen hatten im Sommer mehrere tausend Lehrerinnen und Lehrer gegen die Mehrbelastung protestiert. Zugleich drohten Gymnasialpädagogen an: Klassenfahrten gibt es nicht mehr! Nun machen die Lehrkräfte Ernst. In mindestens 15 Gymnasien werden mehrtägige Ausflüge vorerst abgeschafft. Für den Philologenverband, Berufsvertretung von Gymnasiallehrern, nannte dessen Landesvorsitzender Horst Audritz das Nein zu Klassenfahrten einen »Akt der Notwehr«.

»Mit Bedauern« hat der »Verband der Elternräte an Gymnasien« die Entscheidung der Lehrer zur Kenntnis genommen. Doch man respektiere die Streichung der Fahrten, hieß es jetzt auf der Herbstversammlung des Verbandes in Hannover. Deutlicher äußert sich der Landesschülerrat: Die Auseinandersetzung zwischen Regierung und Lehrern dürfe nicht zu Lasten der Schüler gehen, sondern müsse politisch gelöst werden.

Um Verständnis für die Pädagogen warb der Landesvorsitzende der Lehrergewerkschaft GEW, Eberhard Brandt, am Wochenende auf dem Landesparteitag der Grünen. Nach einer Lehrer-Demo vor dem Tagungslokal in Celle erhielt Brandt kurzfristig Rederecht. Er mahnte, Finanzprobleme dürften nicht durch Mehrbelastung für Beschäftigte ausgeglichen werden. Einige Parteimitglieder teilten diese Meinung, die Landtagsabgeordneten jedoch verteidigten den Koalitionskurs.

Bei der Landesregierung in Hannover zeigt man Verständnis für die Lehrer, aber: »Das Streichen von Klassenfahrten und Schüleraustausch geht über die legitime Interessenvertretung hinaus«, betonte Susanne Schrammar, Sprecherin von Kultusministerin Heiligenstadt, gegenüber »nd«. »Schülerinnen und Schüler sowie die Eltern sollen instrumentalisiert werden, um der Landesregierung Druck zu machen.« Damit nehme man den jungen Menschen die Freude an schulischen Aktivitäten. Das sei eine falsche Konsequenz, zumal viele Entlastungen der Lehrkräfte geplant seien. »So werden zum Beispiel seit diesem Schuljahr die Klassen an Gymnasien verkleinert, und es ist geplant, den Fort- und Weiterbildungsetat erheblich zu erhöhen«, sagte die Sprecherin. Auch solle die Zahl der Schulpsychologen verdoppelt und der Bereich Gesundheits- und Arbeitsschutz an Schulen verstärkt werden.

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