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Goethe und das Koffein

  • Reinhard Renneberg, Hongkong
  • Lesedauer: 3 Min.
»Ei! wie schmeckt der Coffee süße, lieblicher als tausend Küsse ...« Über zwei Jahrzehnte lang besuchte Johann Sebastian Bach (1685-1750) zwei Mal in der Woche das Zimmermannsche Kaffeehaus in der Leipziger Katharinenstraße. Seine Kaffeekantate auf den Text von Christian Friedrich Henrici (Picander) zeugt von der nachhaltigen Wirkung. Aber erst 90 Jahre später wurde der labende Stoff chemisch isoliert. Über 60 Pflanzen erzeugen Koffein, offenbar als Schutz vor Insekten. Kein geringerer als Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) soll zur Entdeckung des populärsten Naturstoffes beigetragen haben. Der junge Chemiestudent Runge, war von Göttingen an die Jenaer Universität gekommen. Dort traf er auf Goethes rechte Hand, den »Scheidekünstler« Johann Wolfgang Döbereiner (1780-1849), bei dem er analytische Chemie hörte. Friedlieb Ferdinand Runge, 1794 bei Hamburg geboren, lernte Apotheker und studierte ab 1816 Medizin in Berlin, Jena und Göttingen. Als er in Jena mit Döbereiner zusammentraf, besaß Runge bereits Erfahrung in der chemischen Untersuchung von Gift- und Heilpflanzen. Döbereiner war von Runges Versuchen an Katzenaugen so beeindruckt, dass er sprach: »Sie sind von der höchsten Wichtigkeit, und noch heute Abend werde ich Goethen davon erzählen.« Und der Geheime Rat »ließ sich herab, einen unbedeutenden Studenten, mit seiner Katze unterm Arm, Audienz zu geben«, schrieb Runge später. Goethe interessierte sich für die Physiologie des Auges aus der Sicht seiner Farbenlehre. Deshalb konnte der junge Wissenschaftler 1819 eines Morgens bei ihm präsentieren, wie ein Tropfen Atropin, das Gift der Tollkirsche, zu kurzzeitigen Pupillenerweiterungen führt. Als »Belladonna« war es bei den Damen beliebt - sie tauschten damit klare Sicht gegen Glutaugen. Goethe entließ Runge am Ende huldvoll mit einer Schachtel Kaffeebohnen und der Bemerkung: »Auch diese können sie zu Ihren Untersuchungen gebrauchen.« Goethe nahm an, dass Kaffee ein Gegengift zu Atropin enthält - worin er sich jedoch irrte. Ein Jahr später entdeckte Runge die »Kaffeebase«, wie er damals die stimulierende Substanz bezeichnete. Koffein wurde noch drei Mal neu entdeckt: ebenfalls 1820 und im Kaffee durch F. von Giese, 1826 durch Thomas Martius in der Guaraná-Frucht als »Guaranin« und 1827 durch Jean Baptiste Oudry als »Thein«. Jobst berichtete dann 1838, dass Koffein mit Thein identisch ist, was aber bis heute nicht allgemein bekannt ist. Runges Wirken hat noch weitere wichtige Erkenntnisse hervorgebracht. Ab 1832 forschte er in seiner Chemiefabrik im Schloss Oranienburg. Er isolierte als erster Chinin, entdeckte im Steinkohlenteer die Karbolsäure sowie das Anilin und wurde so zum Pionier auf den Gebieten der Naturstoffchemie und der synthetischen Farbstoffe. Und auch für die Papierchromatographie, Grundlage vieler Entdeckungen des 20. Jahrhunderts, ist er einer der Väter: Runge tropfte verschiedenfarbige Lösungen auf Löschpapier und fand typische Strukturen - die »Runge-Muster-Bilder« (veröffentlicht 1850 und 1855 in zwei Bildbänden). In seiner Heimatstadt Oranienburg galt Runge als Spinner und Sonderling. Nur im Ausland würdigte man ihn. Das alte Lied ... Nach dieser Kaffee-Reise: Etwas Appetit auf die meistbenutzte Droge 1,3,7-Trimethyl-xanthin bekommen? Heeß und sieße!

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