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  • Politik
  • Unrühmliche Seiten aus dem Leben des Chirurgen Ferdinand Sauerbruch

Makabres Finale einer Karriere

  • Lesedauer: 4 Min.

Von Martin Koch

Zu seinen Patienten gehörten der Schauspieler Heinrich George, der Dramatiker Gerhart Hauptmann und der greise Reichspräsident Paul von Hindenburg. Aber auch einige Machthaber des Dritten Reiches, namentlich Joseph Goebbels, begaben sich in die Obhut des Chirurgen, von dem es hieß, dass er das Skalpell ähnlich virtuos beherrsche wie ein Dirigent seinen Taktstock.

Vor 125 Jahren, am 3. Juli 1875 in Barmen geboren, studierte Ferdinand Sauerbruch Naturwissenschaften und Medizin an der Universität Marburg, die ihn 1908 zum Professor berief. Weitere Stationen seiner Karriere waren Zürich, München und Berlin. Berühmt wurde Sauerbruch vor allem durch die Einführung neuer chirurgischer Techniken, die Operationen möglich machten, die zuvor als undurchführbar galten: So entwickelte ef bereits als jünger Assistenzarzt eine Unterdruckkammer, mit deren Hilfe sich der Brustkorb öffnen ließ, ohne dass die Lunge kollabierte. Eine medizintechnische Meisterleistung war die von ihm 1916 erfundene bewegliche Handprothese, die so genannte Sauerbruch-Hand, die vielen Kriegsverletzten die Rückkehr ins Erwerbsleben erleichterte.

1927 übernahm Sauerbruch den Lehrstuhl für Chirurgie an der Berliner Charite, den er auch während des Dritten Reiches innehatte. Am 30. September 1933 verfasste er einen «Offenen Brief an die Ärzteschaft der Welt», in dem er der Hitler-Regierung sein Vertrauen aussprach und um Verständnis warb «für die harten und schweren Eingriffe», die jede revolutionäre Tat begleiten würden. Doch seine Begeisterung für das Nazi-Regime hielt nicht lange an. Auf der 94. Ver Sammlung der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte 1Ö36 in Dresden rügte er in seiner Eröffnungsrede die NS- Wissenschaftspolitik und brach eine Lanze für Einstein und dessen Relativitätstheorie, die nazihörige Physiker als «jüdisches Blendwerk» aus der Wissenschaft verbannen wollten.

Er hielt es außerdem für seine ärztliche Pflicht, beim Reichsjustizminister gegen die Euthanasie-Morde in deutschen Heilanstalten zu protestieren. Dennoch ver weigerte er dem Nazi-Regime zu keiner Zeit seine Loyalität, was dessen Machthaber zu schätzen wussten: Göring ernannte ihn zum preußischen Staatsrat, Goebbels verlieh ihm den Nationalpreis für Kunst und Wissenschaft und Hitler brachte seine Berufung zum Generalarzt der Wehr macht auf den Weg. Darüber hinaus war Sauerbruch ein einflussreiches Mitglied des Reichsforschungsrates. Im Sommer 1943 bewilligte er die Projekte «Spezifische Eiweißkörper» und «Augenfarbe» des Frankfurter Anthropologen Otmar Freiherr von Verschuer, die dessen Assistent Josef Mengele in Auschwitz ausführ te. Was dort geschehen sei, habe er nicht gewusst, erklärte Sauerbruch später vor einer Westberliner Entnazifizierungskammer, die ihn schließlich freisprach.

Anfang 1943 kam Sauerbruch mit dem militärischen Widerstand gegen Hitler in Berührung, nachdem er Generaloberst Ludwig Beck an Darmkrebs operiert hatte. Später lernte er auch Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg kennen, der in Afrika schwer verwundet worden war. Er hatte sein linkes Auge, zwei Finger der linken und seine rechte Hand verloren. Sauerbruch riet ihm, sich in seiner Klinik eine künstliche Hand anlegen zu lassen. Doch Stauffenberg lehnte ab - mit Hinweis auf eine dringende Aufgabe, die er zu er ledigen habe. Welche das sei, erzählte er Sauerbruch nicht. Trotzdem wurde dieser nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler vom Chef des Reichssicherheitshauptamtes persönlich verhört, ohne dass man ihm etwas nachweisen konnte.

Nach dem Krieg übte sich Sauerbruch in politischer Wiedergutmachung. Er bekleidete vorübergehend das Amt des Ber liner Stadtrats für Gesundheitswesen und gehörte zu den Mitbegründern der CDU. Daneben stand er fast täglich im OP obwohl seine chirurgischen Fähigkeiten infolge einer fortschreitenden Gehirnsklerose rapide nachließen. Er machte schlimme Kunstfehler, die mehrere Menschen das Leben kosteten. Unter ihnen war auch der bekannte Schauspieler Heinrich Greif, der an inneren Blutungen starb, weil Sauerbruch bei einer relativ einfachen Leistenbruchoperation ein verletztes Blutgefäß übersehen hatte. Später vergaß er sogar, nach einer Krebsoperation Magen und Darm wieder miteinander zu verbinden. Auf Druck der SED-Führung musste Sauerbruch am 3. Dezember 1949 seine Tätigkeit an der Charite einstellen, da er zu einem unkalkulierbaren Risiko für die Patienten geworden war. Sauerbruch selbst hielt seine Entlassung für einen Akt der politischen Repression. Von den Westmedien in diesem Wahn bestärkt, operierte er bedenkenlos weiter. Zunächst in einer Westberliner Privatklinik, dann in seinem Privathaus in Grunewald, wo er mit einer dilettantischen Krebsoperation einer Frau unsagbare Schmerzen bereitete. Erst der Tod nahm Sauerbruch das Skalpell aus der Hand. Er starb am 2. Juli 1951 in einem Berliner Krankenhaus.

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