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- Neue Details über eine geheime Kriegsoperation
Churchills Codeknacker entschlüsselten Enigma
Die Führung der deutschen Wehr macht war bis zum Schluss über zeugt, mit der »Engima« (griech.. Rätsel) die beste Chiffriermaschine der Welt zu besitzen. Niemals, glaubten Hitler und seine Generäle, würde der Feind die darauf codierten Geheimtexte entschlüsseln können. Zudem war die Bedienung der Enigma denkbar einfach: Der Absender tippte den geheimen Text in eine Schreibmaschine, wo er in eine regellose Buchstabenfolge umgewandelt wurde, die eine Maschine beim Empfänger wieder entschlüsselte. Bereits 1928 hatte das deutsche Heer die Enigma erworben, seit 1935 wurde sie in der gesamten Wehr macht zur Übermittlung geheimer Nachrichten eingesetzt.
42 000 Jahre müsste jemand rund um die Uhr rechnen, um alle möglichen Kombinationen der Enigma durchzuspielen, hatte deren Konstrukteur Arthur Scherbius stolz versprochen. Ein fataler Irrtum. Auch die von der Enigma produzierten Texte enthielten zahlreiche Regelmäßigkeiten, die Rückschlüsse auf den benutzten Code zuließen. Entscheidend dafür war der gleichmäßige Antrieb der Walzen, den zu verändern die Chiffrierexperten des Dritten Reiches nicht für nötig hielten. Schon 1932 war es polnischen Geheimdienst-Mathematikern gelungen, den Code einer älteren Enigma zu knacken. Am Vorabend des Krieges überreichten sie ihren französischen und englischen Kollegen zwei nachgebaute Exemplare der Maschine und ihre bis dahin erzielten Resultate. Danach senkte sich der Vor hang des Schweigens über Enigma. Erst 1974 machte Oberstleutnant Frederick W. Winterbotham in seinem Buch »The Ultra- Secret« (Das Ultra-Geheimnis) für mehrere alliierte Siege über Hitler einen Geniestreich britischer Wissenschaftler zumindest mitverantwortlich.
Was war geschehen? Kaum hatten die Briten das Material der Polen erhalten, zogen sie auf dem Landsitz Bletchley Park ein hochkarätiges Wissenschaftlerteam zusammen, das während des Krieges damit beschäftigt war, den Code der Enigma- Maschinen zu knacken. Die geheimen Unternehmen erhielt den Decknamen »Ultra«. Als seine führenden Köpfe galten der Linguist Dilly Knox und der Mathematiker Alan M. Turing, einer der Gründer väter der Informatik. Bereits im Frühjahr und seinen Leuten der Zufall zu Hilfe: Am 9 Mai 1941 kaperte die Royal Navy das deutsche U-Boot U 110 und erbeutete die darin befindliche Enigma mitsamt der dazugehörigen Unterlagen. In seinem jetzt erschienenen Buch »Engima entschlüsselt« (Heyne Verlag, 288 S., 36 DM) schildert der ehemalige britische Geheimdienstoffizier Michael Smith, welche Informationen die Londoner Führung während des Krieges aus Bletchley Park er hielt. Danach wussten die Briten häufig Bescheid, wo die Ziele der deutschen Bombenangriffe lagen. Sie kannten die Positionen zahlreicher deutscher U-Boote im Atlantik und waren mehrfach über die Angriffspläne und Nachschubwege der Nazi-Truppen in Nordafrika unterrichtet. Selbst über die deutschen Verteidigungsstellungen in der Normandie besaßen sie zum Teil präzise Informationen.
Seit Jahren wird deshalb darüber gestritten, welche Auswirkungen diese intimen Kenntnisse auf den Verlauf und die Dauer des Krieges hatten. Der US-Militär historiker David Kahn meint, dass ohne Ultra die zweite Front in Europa erst 1946 möglich gewesen wäre und der Krieg dort bis 1949 gedauert hätte. Der britische Spionagespezialist Phillip Knightley hält solche Zahlen für maßlos übertrieben und einen Zeitgewinn von bestenfalls zwölf Monaten für denkbar. Zumal die Deutschen nur etwa ein Drittel ihrer Nachrichten funkten. Viel häufiger benutzten sie das Telefon, den Fernschreiber oder Kuriere. Und obwohl in Bletchley Park zeitweilig fast 10 000 Personen arbeiteten, kam die Entschlüsselung vieler Meldungen oft Stunden oder Tage zu spät. Nach Recherchen britischer Militärex perten wurden lediglich 10 Prozent der an die Front gelieferten Ultra-Informationen operativ umgesetzt. Selbst hochrangige Kommandeure ignorierten das Material aus Bletchley Park, wenn es ihren Plänen zuwiderlief. Ein Beispiel: Im September 1944 informierte Ultra das britische Oberkommando über starke deutsche Panzerkräfte in der Nähe der niederländischen Stadt Arnhem. Dennoch führte Feldmarschall Bernard Montgomery die dreiteilige Luftlandeoperation »Market Garden« durch, bei der die Erste Britische Luftlandedivision in der Nähe von Arnhem einen Brückenkopf bilden sollte. Von den 10 000 Mann der Division fielen 7800 im Kugelhagel der Deutschen.
Aus Dokumenten und Interviews erfuhr Smith, dass die US-Militärführung bestens über Ultra informiert war. 1942 entsandte sie sogar einige Offiziere nach Bletchley Park, die sich an der Entschlüsselung der deutschen Funksprüche beteiligten. Ungeklärt ist hingegen die Frage, wieviel Stalin von den geheimen Kenntnissen seines alliierten Partners wusste. Vieles spricht dafür, dass der britische Geheimdienst die sowjetische Militärmission in London mit geheimen Ultra-Material ver sorgte, ohne dessen Quelle preiszugeben. Auch der in der Schweiz tätige Spionagering des ungarischen Kommunisten Alexander Rado (Deckname Dora) scheint verdeckte Ultra-Informationen erhalten zu haben - besonders vor und während der Schlacht bei Kursk im Juli 1943. Nach Smiths Recherchen wäre dies allerdings gar nicht nötig gewesen, denn die Sowjets hatten einen Spion in Bletchley Park. John Cairncross. Dieser übergab die entziffer ten Meldungen einem Londoner Kontaktmann des militärischen Geheimdienstes der Sowjetunion, der sie sofort nach Moskau sandte. Bekanntlich war Stalin sehr misstrauisch gegenüber allen Informationen, die er aus westlichen Quellen erhielt. Seinem Geheimdienst hingegen glaubte er. »Die Russen waren überzeugt, dass die von mir gelieferte deutsche Version von Ultra echt sei«, erinnerte sich Cairncross. »Sie enthielt die genauen Einzelheiten über die deutschen Einheiten und ihre Stellungen, so dass die Russen sich ihre Ziele genau aussuchen und den Feind überraschen konnten.« Heißt das womöglich, dass die größte Panzerschlacht des Krieges von Codeknackern und Spionen entschieden wurde? Wohl kaum. Denn wer weiß, was sein Gegner vorhat, hat ihn deswegen noch lange nicht besiegt. Das war so bei Kursk und auf allen anderen Schauplätzen des Krieges.
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