Koalitionspläne: Frauenpolitik für wenige

Erwerbsarbeit, Schutz vor Gewalt und Armut: Eine feministische Analyse des Koalitionsvertrags

  • Lotte Laloire
  • Lesedauer: 9 Min.
Papa macht steuerbegünstigte Überstunden, Mama erzieht die Kinder: Die Koalitionspläne können Geschlechterungleichheit verstärken.
Papa macht steuerbegünstigte Überstunden, Mama erzieht die Kinder: Die Koalitionspläne können Geschlechterungleichheit verstärken.

Etwas Gutes lässt sich über Friedrich Merz festhalten: Während er 1997 noch gegen ein Gesetz stimmte, das Frauen vor Vergewaltigung in der Ehe schützen soll, hat der inzwischen zum Bundeskanzler Gekürte bisher noch keine offen frauenfeindlichen Maßnahmen ergriffen. Wenig Gutes lässt sich aus feministischer Sicht über den Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD sagen. Zwar gibt es einzelne positive Überraschungen. Die strukturelle Benachteiligung von Frauen und queeren Personen wird jedoch weitgehend ignoriert. Gegen den grassierenden Antifeminismus will die Regierung kaum etwas tun.

»Der gesamte Koalitionsvertrag ist problematisch, weil durchgängig eine feministische Perspektive fehlt«, findet etwa Janine Wissler, wirtschaftspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag. »Frauen kommen nur vor, wenn es um ›Frauenthemen‹ geht, der Rest wird quasi selbstverständlich aus der Sicht von Männern angegangen.« So ist das Papier geprägt von einem bürgerlichen Geschlechter- und Familienbegriff, der Ungleichheiten weiter zu vertiefen droht. Im Fokus steht die ökonomische Verwertbarkeit von Frauen, ihre tatsächlichen Rechte und Lebensrealitäten werden kaum adressiert.

Führungskräfte-Feminismus hilft nur wenigen

Zu dieser Realität gehört, dass Frauen in Deutschland bei gleicher Tätigkeit durchschnittlich noch immer weniger verdienen als Männer. Die EU-Entgelttransparenzrichtlinie verlangt eine bessere Dokumentation der Bezahlung und muss in Deutschland bis Juni 2026 umgesetzt werden. Doch darauf hat sich bisher gerade mal ein Viertel der Unternehmen vorbereitet. Und was schreibt die Koalition? Sie will dazu zunächst eine Kommission einsetzen. Auf Wissler wirkt das nicht so, »als wolle man dem Pay-Gap viel Aufmerksamkeit schenken«.

Laut Koalitionsvertrag sollen zum Beispiel im öffentlichen Dienst mehr Frauen in Führungspositionen arbeiten. Doch Führungskräfte-Feminismus hilft nur wenigen. Für die Mehrheit der Frauen – etwa Arbeiterinnen, Alleinerziehende, Migrantinnen, Frauen mit Behinderung – fehlt es an wirksamer materieller Unterstützung. Gegen weibliche Armut enthält der Vertrag kein vielversprechendes Rezept. Wissler weist auf die andere Seite dieser Medaille hin: Die von SPD-Chef Lars Klingbeil angekündigten Steuergeschenke an Unternehmen seien »Geschenke an Aktionäre; die sind zu zwei Drittel männlich. Über 70 Prozent der Milliardenvermögen in Deutschland gehören Männern«, erklärt die Wirtschaftsexpertin.

Die zulässige Höchstarbeitszeit pro Tag soll ausgeweitet und Überstunden steuerlich begünstigt werden. Die meisten Überstunden lassen sich vollzeitbeschäftigten Männern zurechnen, für deren Mehrarbeit es künftig also noch mehr Anreize geben würde. Das bedeutet: Sie haben noch weniger Zeit, Familien- und Sorgearbeit zu übernehmen. »Frauen, deren Überstunden in Teilzeitarbeitsverhältnissen viel seltener überhaupt erfasst und entlohnt werden, können dann erst recht ihre Arbeitszeit nicht ausweiten«, bemerkt Wissler. »Mit dieser Regierung werden viele Frauen in der Teilzeitfalle bleiben.«

»Frauen kommen nur vor, wenn es um ›Frauenthemen‹ geht.«

Janine Wissler Wirtschaftspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag

Das liegt auch daran, dass der Koalitionsvertrag keine überzeugenden Ideen zum Ausbau und vor allem zur Finanzierung staatlicher Kinderbetreuung enthält. Auf Seite 14 steht zwar: »Wir wollen Familien helfen, den alltäglichen Spagat zwischen Kindererziehung, Arbeit, Haushalt, Pflege und auch Erholung besser bewältigen zu können. Deshalb prüfen wir ein jährliches Familienbudget für Alltagshelfer für Familien mit kleinen Kindern und/oder pflegebedürftigen Angehörigen mit kleinen und mittleren Einkommen.«

Doch Haushaltshilfen sind in der Regel auch Frauen. Und wer soll den Haushalt der Haushaltshilfen erledigen, wer betreut ihre Kinder? Zudem werden sie meist mies bezahlt. Wenn die Koalition hier keine tarifvertraglich abgesicherten Löhne zur Bedingung macht, fördert sie nur die Entlastung einer bestimmten Gruppe von Frauen, und das zum Preis einer weiteren Feminisierung des Niedriglohnsektors.

Generell sollen nach dem Willen der Koalition mehr Menschen mehr arbeiten. Zur »Fachkräftesicherung« strebt sie auch eine »Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen« an, zum Beispiel in der IT-Branche. Das ist weder Angela Merkel noch der Ampel gelungen: Der Anteil von Frauen an der Erwerbsarbeit ist in diesem Bereich von 2003 bis 2023 gerade einmal um zwei Prozent gestiegen. Wie die neue Koalition erreichen will, was bisher nicht geklappt hat, schreibt sie nicht.

Eine Abschaffung des Paragrafen 218 wird nicht erwähnt

Die 38-jährige Anna Korsch von der Gruppe Fantifa Leipzig sagt, auf den Koalitionsvertrag angesprochen: »Gegenüber der Bundespolitik fühle ich mich machtlos.« Auch wenn die Regierung darin »Gleichstellung« als Ziel nenne, dürfe man sich nicht blenden lassen. Gleich in der Einleitung stehe, dass Leistungsträger und ihre Familien gefördert werden sollen. »Das finde ich besorgniserregend und antisozial«, sagt Anna Korsch, »weil wir ja wissen, wie verstaubt das Familienbild der CDU ist.« Dieses beschränkt sich in der Regel auf cis Männer und cis Frauen. Das Thema körperliche Selbstbestimmung fehlt fast vollständig. Eine Abschaffung des Paragrafen 218, von der Mehrheit der Bevölkerung befürwortet, wird nicht einmal erwähnt.

Positiv überrascht ist Korsch davon, dass das Selbstbestimmungsgesetz, das etwa trans Menschen gleichstellt, laut dem Papier nicht angetastet werden soll. Doch sie traut dem Braten nicht. Die angekündigte »Evaluierung« macht ihr Sorgen: »Denn das machen dann irgendwelche Wirtschaftsforschungsunternehmen, und wer weiß, was dabei rauskommt.« Angesichts der politischen Großwetterlage sorgt sich Korsch, dass diese Themen als Luxusprobleme abgetan werden könnten. Sie verweist dabei auf Großbritannien: In der Debatte über öffentliche Toiletten werden trans Frauen als Perverse oder Straftäter geframt, obwohl sexualisierte Gewalt in Wirklichkeit fast immer von cis Männern ausgeht. »Dort wird das Schutzraumargument misogyn umgekehrt.« Eine Abschaffung des Selbstbestimmungsrechts, so warnen trans Verbände schon jetzt, sei rechtswidrig.

Die Antifaschistin kritisiert das Motto, »die AfD wegzuregieren«

Die aktuell größte Gefahr für feministische Errungenschaften ist der Aufstieg der extremen Rechten. Der Koalitionsvertrag verspricht hier wenig bis keine Abhilfe. Gut ist laut Korsch zwar, dass das Bundesprogramm »Demokratie Leben« weitergeführt werden soll, »weil dadurch auch hier bei uns in Sachsen viele wichtige Projekte gefördert werden, zum Beispiel für migrantische Flinta-Personen« – Flinta ist eine Abkürzung für Frauen, Lesben, inter-, nichtbinäre, trans und agender Personen. Zugleich soll die Liste der sicheren Herkunftsstaaten erweitert werden. Feministinnen befürchten, dass dabei keine Rolle spielen wird, ob in diesen Ländern queere Menschen verfolgt werden.

Auch weitere AfD-Forderungen haben Union und SPD übernommen: Asylsuchende an der Grenze zurückweisen, das Aufnahmeprogramm für Afghan*innen stoppen und den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten komplett aussetzen. All das schadet Frauen – und zwar ausgerechnet denen, die ohnehin schon weitgehend entrechtet sind.

Die Leipziger Antifaschistin kritisiert das Motto von Union und SPD, »die AfD wegzuregieren«, indem sie Forderungen der AfD umsetzt, deshalb scharf. »Politiker*innen, die das denken, haben bis heute nicht begriffen, was in der Bevölkerung eigentlich los ist. Wähler*innen werden nicht aufhören, die AfD zu wählen, gerade hier bei uns: Das sind stabile Nazis.«

Neben völkischem Rassismus ist Misogynie ein Kernelement rechter Ideologie. An Orten, an denen die extreme Rechte stark ist, werden schon jetzt feministische Projekte angegriffen, seien es CSD-Paraden (Christopher Street Day), seien es Festivals wie vor zwei Jahren in Grünau. Dort stürmte ein Mann auf die Bühne, brachte die Künstlerin zu Boden und schlug auf sie ein. Laut Aussage des Täters hätten ihn Textzeilen der queerfeministischen Rapperin zu der Tat motiviert, heißt es in der Chronik von Support, einer Einrichtung für Betroffene rechter Gewalt. Derartige antifeministische Gewalt wird mit dem Erstarken der extremen Rechten weiter zunehmen, wirksame Gegenmaßnahmen nennt der Koalitionsvertrag keine.

Weniger Hilfe für Menschen im Globalen Süden

Ein anderes Thema, bei dem schon die Ampel-Regierung weitgehend erfolglos war, interessiert Union und SPD gar nicht: Feministische Außen- und Entwicklungspolitik fehlt im Koalitionsvertrag. Lea Reisner, für Die Linke im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags, kritisiert etwa die geplante Absenkung der ODA-Quote, die den Anteil der öffentlichen Entwicklungsleistungen am Bruttonationaleinkommen angibt. Dadurch werde Hilfe ausgerechnet dort wegfallen, wo sie am nötigsten gebraucht wird: bei von Hunger, Gewalt und Klimakatastrophen betroffenen Frauen und Kindern im Globalen Süden. Reisner nennt das im Gespräch mit »nd.DieWoche« ein »fatales Signal«. Kürzungen in der Entwicklungszusammenarbeit seien aktuell besonders deshalb abzulehnen, weil Länder wie die USA sich als Geber zurückziehen.

»Starke deutsche Außenpolitik wirkt auf den ersten Blick geschlechtslos, schadet aber Flinta«, sagt Reisner. Denn das bedeute industriefreundliche Rüstungsexportpolitik. Reisner spricht sich dagegen aus, dass sexualisierte Kriegsverbrechen als Vorwand für Waffenexporte genutzt werden. Rüstungsexporte seien, wenn überhaupt, allenfalls dann akzeptabel, wenn sie im Einklang mit Frauen*- und Menschenrechten stehen – also auf die Prävention von Konflikten ausgerichtet sind.

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Mit bitterem Ton in der Stimme merkt die Abgeordnete an, dass die internationale Konvention gegen Gewalt an Frauen, also die sogenannte Istanbul-Konvention, in einem Atemzug mit – und erst nach – der Kriegsgräberfürsorge genannt wird. Welch geringe Priorität die Bundesregierung dem Schutz von Frauen vor Gewalt einräume, werde dadurch deutlich.

Fast schon positiv überrascht ist Anna Korsch aus Leipzig, dass der Koalitionsvertrag überhaupt Maßnahmen zum Gewaltschutz enthält. Doch der elektronischen Fußfessel für Gewalttäter steht sie, wie sehr viele Feminist*innen, skeptisch gegenüber. Diese könne Erfahrungen in anderen Ländern zufolge zwar durchaus etwas nützen, doch sie kommt oft nur bei den schlimmsten Fällen zum Einsatz, Prävention kann sie nicht ersetzen. Expert*innen fürchten zudem, dass die Fußfessel in einem rassistischen Klima wie aktuell vor allem gegen nichtweiße Männer eingesetzt werden könnte. Eine unbefristete, ausreichende und bundesweite Finanzierung von Beratungsstellen und Frauenhäusern hat die Bundesregierung nicht geplant. Diese Einrichtungen leiden oft unter einer unklaren Finanzierung und klammen Haushalten. So mussten in Sachsen bereits erste Mitarbeitende entlassen werden.

»Für Feminist*innen geht es jetzt ums Überwintern«, bilanziert Korsch. Der Wind, der aus Berlin weht, drohe Aktivismus zu lähmen. Dabei habe die Bewegung durchaus Potenzial, sagt sie und verweist auf den hartnäckigen Kampf zur Abschaffung des Paragrafen 218. Reisner betont in Anbetracht des globalen Rollbacks die Bedeutung internationaler Solidarität, gerade unter Flinta. Wissler sieht das ähnlich: »Mehr Feminismus kann und muss aus der Gesellschaft kommen, und dazu muss es eine Mobilisierung der Frauen geben, insbesondere der Frauen am Arbeitsplatz.«

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