PLATTENBAU

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Popularisierung durch Trivialisierung - seit der USA-Übersiedlung der brasilianischen Jazz-, Pop- und Bossa-Nova-Legende Sergio Mendes 1964 verwandelt der Pianist und Bandleader diese Losung konsequent in klingende Münze. Die Kreuzung von international erfolgreichem Pop und brasilianischer Musik war das Erfolgsrezept sowohl der Arbeit mit Brasil 66, als auch von zahlreichen Beatles-Adaptionen und vor allem der Interpretation des Jorge-Benjor-Hits »Mas que Nada«. So hat sich Mendes inzwischen als erfolgreicher Botschafter der brasilianischen Musik erwiesen. Dabei war es gerade Mendes gewesen, der sich in den sechziger Jahren - kurz nach der »Erfindung« des Bossa Nova - von der Wind-, Meer- und Liebeslyrik der introvertierten Gründungsväter Antonio Carlos Jobim und João Gilberto distanzierte, um sich stattdessen als »einen von zehn oder elf Jazzmusikern« zu bezeichnen, die es zu dieser Zeit in Brasilien gegeben haben soll. Doch trotz seiner Zusammenarbeit mit US-amerikanischen Jazz-Größen wie Cannonball Adderley, Herbie Mann und Paul Winter blieb Mendes immer Brasilianer. Er eröffnete das chaotische Carnegie-Hall-Konzert von 1962, Inkarnationsmoment des brasilianischen Bossa Nova auf dem internationalen Markt. Der Erfolg von Platten wie Sergio Mendes & Brasil 66, Equinox oder Look around brachte gerade durch die unorthodoxe Mischung mit US-amerikanischem Pop eine Vielzahl von Hörern zum ersten mal mit der Musik von Jobim, Ivan Lins oder Milton Nascimento in Berührung. In diese Kontinuität fügt sich das aktuelle Album »Timeless« - Ergebnis einer Zusammenarbeit mit dem geschäftstüchtigen HipHop-Musiker und Produzenten William Adams (will.i.am) und gleichzeitig das erste Mendes-Album seit acht Jahren - nahtlos ein. Bedeutet die Zusammenarbeit für den US-amerikanischen Star von den Black Eyed Peas vor allem eine weitere Projektionsfläche für seine gerappten Lyrics und die Erschließung von neuen Zielgruppen, stellt dieses Samba-Update im Lebenswerk von Mendes eine der interessanteren Transformationen brasilianischer Musik für den abendländischen Markt dar. Schließlich liegt eine Fusion von HipHop und Sergio Mendes - von maskulinen, US-amerikanischen Großstadt-Beats und süßlich-brasilianischen Sehnsuchtsschwelgereien - nicht auf der Hand. Sie erscheint sogar unmöglich, wenn man das HipHop-typische, aggressiv gezeichnete narzisstische Element des auf sich selbst gestellten Individuums Bedeutung zugesteht - so wie es der brasilianische Samba-Sänger Bezerra da Silva bereits in den späten achtziger Jahren gemacht hat. Mit seinen authentischen Erlebnisberichten aus den Favelas von Rio verschloss dessen Musik selbst einer brasilianischen Mittelschicht den Zugang. Bedeutung wurde zur Behinderung erst recht auf dem internationalen Markt. Diese Gefahr umschifft »Timeless«. In der Reduktion auf die afrikanischen Ursprünge - sowohl des Samba als auch des HipHop - wird hier der Rhythmus zum kleinsten gemeinsamen Nenner einer risikolosen Zusammenarbeit. Gelungen ist die Platte trotzdem - vor allem aus zwei Gründen. Zum einen hat jeder der 15 Songs seinen unverwechselbaren Charakter - Folge des Schwarms von aktuellen Stars, der von diesem Projekt angezogen wurde: Stevie Wonder bläst seine einzigartige Mundharmonika zu »Consolacao«, die Schönheitskönigin der US-amerikanischen East-Side, Hip-Hop Intelligentia Erykah Baduh, beseelt »The Heat«, der gerade Grammy-ausgezeichnete Soul-Sänger Johnny Legend bleibt einfach er selbst bei »Please Baby Dont«. Einen Eindruck des typischen, von zwei Backgroundsängerinnen begleiteten, jazzigen Mendes-Sounds vermittelt am besten das Saxophon-dominierte und von Jill Scott und will.i.am intonierte »Let me«. Zum anderen vertraut das Album glücklicherweise auf eine gleichbleibende musikalische DNA - und die heißt Sergio Mendes. Der Pianist erweist sich den Hits gegenüber als musikalisch flexibel genug, um die verschiedensten Charaktere zu integrieren und dabei einer Tradition gegenüber treu zu bleiben - die er hauptsächlich selber ist. »Ein Beat ist ein Beat. Eine Melodie aber kann Jahrzehnte überdauern«, sagt will.i.am - und wirklich sind es die Melodien, die von allen beteiligten Künstlern respektvoll behandelt und durch rhythmische Interaktion aufgewertet werden. Das Album bleibt - trotz aller Amerikanismen - einer international geliebten Idee von Brasilien treu, die aus Lebensfreude, Leichtigkeit, Fußball und Sonne besteht - und auch von Künstlern wie Mendes geschaffen wurde. Gerade deshalb wird dieses Album dem Anspruch tanzbarer, mitreißender und begeisternder Sommer-Musik voll gerecht. Andreas Kötter
Sergio Mendes: »Timeless« (Verve/ Universal)
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