Ballern, bis der Arzt kommt
Hamburger Experte kritisiert Schießstand für Besserverdienende als Katastrophe
Von Jörn Breitholz
In Hamburg schießen Normalbürger mit scharfer Munition und Magnum- Revolvern. «Von jetzt an ist die Waffe scharf und der Zeigefinger geht nur noch an den Abzug, wenn Sie wirklich im Ziel sind.» Schuss. «Festhalten. Festhalten!» Schuss. «Meine Güte, ist da Wumm hinter.» «Sie sehen, es ist doch ein Unter schied zum Kleinkaliberschießen. Und der liebe Gott hat uns zwei Hände gegeben, damit wir die Waffe auch mit zwei Händen festhalten.»
Lokaltermin in Hamburgs momentan angesagtestem Freizeittreff beim so genannten «Magnum Action Shooting.» Der Rechtsanwalt und Schießlehrer Alfred Reinecke zeigt den Waffen-Novizen, wie das so geht mit der Magnum 44er. Jenem lange Zeit stärkstem Revolverkaliber der Welt, das, wenn es beispielsweise die Flanke eines Rindes trifft, nicht viel mehr übrig lässt als spitze Knochensplitter, matschige Fleischblutklumpen und liter weise Rinderblut. Da will man nur hoffen, dass der von Alfred Reinecke zitierte liebe Gott auch immer einen Abgesandten in das neue Unternehmen schickt, wenn sich Hamburgs Hobbyschützen und die High Society dort im frisch eröffneten kommer ziellen Schießstand zum «Magnum Action Shooting» treffen.
Sie dachten, es wäre verboten, mit Pumpgun, großkalibrigen Revolvern, Flinten und ähnlichen Totmachern rumzuballern? Und sogar mit scharfer Munition? Ist es nicht, jedenfalls nicht in Hamburg. Sie brauchen noch nicht mal einen Waffenschein. Stecken Sie sich 300 Mark in die Tasche, Ihren Personalausweis und machen Sie ein unbekümmertes Gesicht, wenn Herr Reinecke an Ihnen einen «Sicherheitscheck» macht, damit nur derjenige die Großkaliberschießanlage betritt, der eine «weiße Weste» hat. Alsdann gehen Sie mit Herrn Reinecke zum Waffenschrank und suchen sich das passende Kaliber aus: Für die Dame vielleicht eine filigrane Smith and Wesson (macht nicht ganz so doll «Bumm») und für den Herrn eine echte Magnum 44er (macht richtig «Bumm»). Und dann geht's los.
Alfred Reinecke und sein Firmenpartner, der Hamburger Kaufmann Ulf Lunge, haben die Waffengesetze genau studiert. Danach darf jeder volljährige Bundesbür ger auf einem Schießstand mit Waffen schießen, solange ein geprüfter Schießlehrer dabei ist. So ist es auf jedem Ver einsschießstand geregelt. Die Schießstandbetreiber Reinecke und Lunge sind die Ersten, die das Schießen mit Pistolen, Revolvern und Flinten kommerziell anbieten: «Jeder Interessent kann sehr schnell und einfach unter Anleitung von Fachpersonal das Schießen bei uns erler nen», beschreibt der 37-jährige Reinecke seine Geschäftsidee.
Strategisch gut gelegen zwischen Hauptbahnhof, Alster und Rathaus haben die beiden Jungunternehmer in den Räumen einer ehemaligen Bank drei Schießbahnen eröffnet. Zielgruppe ist das «gehobene Fitnesspublikum». Beispielsweise Rechtsanwälte, Kaufleute und Manager aus den umliegenden Büros, die ihre Mittagspause einmal anders verbringen möchten, als sie es gewöhnlich tun. «Man muss sich noch nicht einmal umziehen», sagt Reinecke, «unsere Lüftungsanlage ist so gut, dass kein Schießstaub auf dem Anzug bleibt.»
Für den Hamburger Waffenrechtsspezialisten, den Anwalt Ernst Medecke, ist die Eröffnung des kommerziellen Schießstandes ein Skandal: «Ich halte das für eine Katastrophe, weil es dazu führt, dass die Gesellschaft mehr und mehr brutalisiert wird. Der Trend geht hin zur Waffe, gerade bei Jugendlichen. Wer sich nur ein bisschen auskennt, kann jederzeit eine Schuss- oder Stichwaffe kaufen.» Das zuständige Ordnungsamt, so Medecke, hätte den Schießstand nicht genehmigen dürfen: «Die Sache fällt meiner Meinung nach nicht mehr unter die Gewerbefreiheit.» Beim «Magnum Action Shooting» geht es zu wie bei Rambo im Kino: Waffe ziehen, schießen, Waffe holstern. Stellungswechsel, Waffe ziehen, schießen. Wer der Schnellste ist, gewinnt.
Den nächsten Kick haben die Schießstandbetreiber schon im Blick. Schießkinos. Da läuft dann ein Film ab, es werden Szenen abgespielt, wie sie jeder aus dem Kino kennt: «Zieh schneller als Dein Gegner und erschieße ihn. Sonst erschießt er Dich.» Bisher dürfen das nur Berufsgruppen, die sich mit der Waffe auskennen müssen. Aber das muss ja nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Reinecke: «Wir werden sehen, wie sich hier bei uns der Markt entwickelt, und bei Bedarf werden wir einen unserer drei Stände dann entsprechend nachrüsten, so dass er auch interaktiv genutzt werden kann.»
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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