In Cottbus wird schon immer hart gearbeitet

Folge 19 der nd-Serie »Ostkurve«: Stephan Schmidt, neuer Trainer beim FC Energie, über Ängste, Werte und Ziele

  • Lesedauer: 8 Min.
Stephan Schmidt ist seit zwei Wochen Trainer in Cottbus. Den FC Energie übernahm er als Tabellenschlusslicht der 2. Bundesliga. Bevor der 37-Jährige in die Lausitz kam, trainierte er von Juli 2012 bis Mai 2013 den Ligakonkurrenten SC Paderbon. Davor war Schmidt nur im Jugendbereich tätig. Mit den A-Junioren des VfL Wolfsburg wurde er 2011 Deutscher Meister. Wie der gebürtige Berliner den FC Energie wieder in die Erfolgsspur bringen will, erzählte er Alexander Ludewig.

nd: Sie sind jetzt seit zwei Wochen Trainer beim FC Energie. Haben Sie sich schon an Cottbus gewöhnt?
Stephan Schmidt: Das brauchte ich gar nicht. Ich kannte Cottbus vorher schon ganz gut, denn ein Teil meiner Familie kommt hier aus der Region. Einige meiner Verwandten gehen auch regelmäßig ins Stadion der Freundschaft.

Ist das ein Vorteil für Sie?
Ja, ein wertvoller sogar. Ich weiß, was die Menschen hier bewegt. Ich weiß natürlich nicht, wie alle Leute hier denken und fühlen. Aber dass ich hier Menschen habe, die mir nahe stehen, hilft mir sehr viel. Dieses Wissen muss ich als Trainer immer in meine Arbeit einbringen, ich will es ja auch den Spielern vermitteln.

In Cottbus bewegt vor allem auch der FC Energie die Menschen. Wie erleben Sie gerade die Stimmung, angesichts des letzten Tabellenplatzes in der 2. Bundesliga?
Es ist gerade viel Frust dabei, weil man sich die Saison natürlich ganz anders vorgestellt hat. Das habe ich auch in dieser Woche beim Fantreffen erlebt. Angst und die Sehnsucht nach besseren Zeiten sind zu spüren, aber auch die große Identifikation mit dem Verein und der Wille, gemeinsam aus der schwierigen Situation herauszukommen.

Welche Rolle hat Ihre familiäre Bindung nach Cottbus bei der Entscheidung für den FC Energie gespielt?
Das hat mir die Entscheidung leichter gemacht. Aber Energie Cottbus hat mich auch als Klub überzeugt. Ich hatte sehr gute Gespräche mit der Vereinsführung und habe gemerkt, dass dort hohe Fachkompetenz und Verantwortungsbewusstsein eine Einheit bilden. Und wirtschaftlich arbeitet der Verein sehr solide und beständig. Außerdem ist Energie ja auch ein Traditionsverein, der für Werte steht, mit denen ich mich hundertprozentig identifizieren kann.

Welche Werte sind das?
Das ist eine gewisse Bodenständigkeit. Die Leute sind einfach geerdet hier. Und wie die ganze Region steht auch der Klub dafür, dass hier hart gearbeitet wird und Ziele gemeinsam verfolgt werden. Und bei allem ist immer Herzblut dabei. Das ist das Wichtigste. Nur so konnte der Verein in der Vergangenheit auch mit vergleichbar geringen Mitteln oft das Maximum rausholen.

Ihre letzte Trainerstation war Paderborn. Dort haben Sie fast ein Jahr im Hotel gelebt. Werden Sie jetzt in Cottbus heimischer?
Ich wohne da, wo ich arbeite und nicht irgendwo anders. Das habe ich in Paderborn so gehandhabt und das jetzt hier genauso. Auch in Cottbus bin ich noch im Hotel. Momentan ist einfach die Zeit nicht da, mich um etwas anderes zu kümmern und eine Wohnung einzurichten. Es gibt Wichtigeres. Allerdings muss ich dazu sagen, dass ich auch schon in Paderborn im Grunde genommen nicht im Hotel gewohnt, sondern nur genächtigt habe. Die Zeit von morgens bis abends verbringe ich sowieso nur im Büro oder auf dem Trainingsplatz. Auch beim FC Energie arbeite ich bis abends, gehe dann ins Hotel, lege mich hin, wache auf und fahre wieder zur Arbeit.

Sie kommen aus Berlin. Ihre Frau lebt dort mit der gemeinsamen Tochter. Ziehen beide diesmal zu Ihnen, wenn Sie in Cottbus eine Wohnung gefunden haben?
Es ist ja so, dass meine Frau auch arbeitet und meine Tochter zur Schule geht. Und deswegen bleiben beide auch erst mal in Berlin. Und aktuell hätte ich überhaupt gar keine Zeit für meine Familie hier. Ich lebe gerade hundert Prozent Energie, das ist meine Aufgabe. Meine Familie gibt mir schon Kraft und Stärke, wenn wir uns sehen oder telefonieren. Aber ich habe halt nicht viel Zeit momentan.

Etwas mehr Zeit als gewöhnlich hatten Sie und Ihre neue Mannschaft gerade durch die Länderspielpause.
Ja, das war wichtig. Die Pause hat uns gut getan. Wir konnten durchtrainieren und etwas mehr im physischen Bereich arbeiten. Aber auch für die taktische Schulung blieb etwas mehr Zeit. Zudem konnte ich nicht nur auf dem Trainingsplatz mit der Mannschaft arbeiten, sondern auch viele Gespräche mit den einzelnen Spielern führen, um sie auch als Menschen besser kennenzulernen. Vor dem ersten Spiel war ich ja gerade mal drei Tage hier. Da ging es nur um zwei, drei Hauptsachen, die überhaupt trainierbar waren.

Das erste Spiel beim FC St. Pauli wurde mit 0:3 verloren. Haben Sie trotz der Niederlage etwas Positives aus Hamburg mitnehmen können?
Ja. Erst einmal spiegelt das Ergebnis nicht den Spielverlauf wieder, die Partie war viel enger. St. Pauli hat nicht unverdient gewonnen. Aber die Art und Weise, wie wir in einigen Phasen aufgetreten sind, insbesondere nach dem 0:1 und auch in der zweiten Halbzeit, wo wir sehr viel Druck entwickelt haben, war positiv. Leider hatten wir in unseren starken Phasen im Torabschluss etwas Pech. Ein Ball ging an den Pfosten, ein anderer wurde vom Gegner auf der Linie geklärt. Natürlich gab es auch viele Sachen, die wir verbessern müssen. Das haben wir ebenso besprochen wie die Sachen, die schon ganz gut waren und auf denen wir aufbauen wollen.

Vor der Saison haben Sie Energie Cottbus im oberen Drittel der zweiten Liga verortet. Haben Sie sich so sehr getäuscht?
Nein. Ich habe vom Potenzial gesprochen. Aber Potenziale müssen auch immer erst in Qualität umgesetzt werden, und das Spieltag für Spieltag. Da, wo Energie jetzt steht, am Tabellenende, das ist die Ist-Qualität. Genau das hat die Mannschaft bisher gebracht. Aber sie hat eindeutig mehr Potenzial.

Sie sehen das Potenzial. Und Energie Cottbus selbst ist ja auch mit einem ganz anderen Anspruch in die Saison gestartet. Findet sich angesichts dieser Diskrepanz das größte Problem in den Köpfen der Spieler?
Ja, neben einigen körperlichen Defiziten ist das der Fall. Die Situation hat sich ja nun mal durch viele negative Ergebnisse verändert und zu einer mentalen Blockade geführt. Und die entsteht eben, wenn man sich vorher mit solch einer negativen Situation nicht beschäftigt hat, dann aber plötzlich mit ihr konfrontiert wird. Die Mannschaft jetzt wieder psychisch zu stärken, ist deshalb gerade die wichtigste Aufgabe.

Welche Mittel und Wege hat man da als Trainer?
Das erreicht man vor allem mit vielen Gesprächen. Mit jedem einzelnen Spieler muss man vor allem über seine individuellen Qualitäten reden. Sie brauchen wieder Selbstvertrauen und dafür muss man sie immer und immer wieder positiv beeinflussen. Das ist das einzige leistungsfördernde Konzept in solch einer Situation. In der gesamten Mannschaft müssen die Tugenden und die Stärken, die den FC Energie ausmachen, wieder geweckt werden. Dies sind eben das große Gemeinschaftsgefühl in Cottbus, die starke Identifikation mit dem Klub und der Wille füreinander zu arbeiten und zu kämpfen. Als Trainer muss ich dabei Ruhe ausstrahlen und den Druck nicht noch erhöhen. Nichts wäre schlimmer als jetzt noch zusätzliche Hektik zu verbreiten. Neben vielen Gesprächen ist im Training wichtig, verunsicherte Spieler täglich an die elementarsten Dinge des Fußballs zu erinnern. Sie müssen in schwierigen Situationen einfach und klar handeln und nicht zu viel nachdenken oder komplizierte Lösungen suchen.

Vor dem heutigen Spiel gegen den FSV Frankfurt, Ihr erstes Heimspiel mit Energie Cottbus, haben Sie die Mannschaft also auf Abstiegskampf eingestellt?
Ja. Denn es ist wichtig, die Situation anzunehmen und sich ihr auch wirklich zu stellen. Wir haben jetzt bis Weihnachten noch fünf Spiele, in denen wir unbedingt punkten müssen. Denn nichts ist wichtiger fürs Selbstvertrauen als Erfolgserlebnisse. Die brauchen wir auch, um in der Winterpause in Ruhe dann an den nächsten Schritten arbeiten zu können. Das muss man manchmal eben auch erzwingen und das werden wir heute tun. Wir werden alles versuchen, um dieses Heimspiel zu gewinnen.

Sie sind ein ehrgeiziger Trainer. Nachdem Sie die A-Jugend des VfL Wolfsburg trainiert hatten, haben Sie den SC Paderborn in der zweiten Liga übernommen. Bei Ihrer Vorstellung in Cottbus sagten Sie, dass der FC Energie für Sie der nächste Schritt in Ihrer Entwicklung ist. Welche Ziele haben Sie hier?
Dass die Mannschaft noch mehr Möglichkeiten hat, habe ich ja schon gesagt. Und auch der ganze Verein hat ein Potenzial, das er in der Vergangenheit auch schon mehrmals abgerufen hat. Zweimal spielte Energie schon in der 1. Bundesliga. Das ist für einen Verein mit diesen Möglichkeiten eine großartige Leistung. Ich habe für anderthalb Jahre beim FC Energie unterschrieben, weil ich hier mittel- und langfristig etwas weiter aufbauen möchte. Und natürlich habe ich dafür auch Ideen und Konzepte. Aber die Ist-Situation ist gerade eine andere. Jetzt geht es erst mal nur darum, aus dem Tabellenkeller zu kommen. Das allein wird schon ein langer Weg. Deshalb werde ich jetzt keine Ziele definieren, das wäre in unserer Lage nicht hilfreich.

Können Sie aber das Potenzial des Vereins genauer definieren?
Zum einen eben der absolute Rückhalt in der Region, die starke Identifikation mit dem FC Energie. Das ist wirklich sehr viel wert. Zum anderen konnte sich Cottbus durch die sportlich erfolgreichen Zeiten in den vergangenen Jahren eine tolle Infrastruktur aufbauen. Wir haben ein schönes Stadion, wir haben einen beheizbaren Rasenplatz. Allein für unsere Profiabteilung gibt es zwei Trainingsplätze. Auch eine Trainingshalle gehört dazu. Wir haben wirklich super Möglichkeiten und tolle Bedingungen. Und soweit ich das schon beurteilen kann, ist auch die Jugendarbeit ausgezeichnet. Die Basis für gute Leistungen der Mannschaft und jedes Einzelnen ist also da. Da wollen wir natürlich auch wieder hinkommen. Aber Voraussetzung dafür ist, jetzt gute Ergebnisse zu erzielen. Heute wollen wir damit beginnen.

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