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Magdeburger Lebensabschnitte

Im einstigen Tolerierungsland Sachsen-Anhalt öffnet sich die SPD wieder für Rot-Rot

  • Lesedauer: 4 Min.
Die SPD schließt nun auf Bundesebene nicht mehr aus, was in vielen Bundesländern bereits Praxis war, derzeit ist oder in Zukunft möglich wäre: regieren mit der Linkspartei. In Magdeburg jedenfalls scheint eine rot-rote Regierung wieder denkbar.

Sie schien es eilig zu haben. Die Aussprache auf dem Bundesparteitag der SPD vor zwei Wochen in Leipzig hatte gerade begonnen, da eilte Katrin Budde ans Rednerpult. Die Landeschefin aus Sachsen-Anhalt hielt sich nicht lange mit Rückblicken auf die vergeigte Bundestagswahl oder ultimativen Forderungen an die Koalitionsgespräche auf. Sie redete nur zu einem Passus im Leitantrag, der für viel medialen Wirbel sorgt: Die SPD will sich auch im Bund für Koalitionen mit der LINKEN öffnen. Während mancher noch skeptisch die Stirn in Falten legte, bestärkte Budde die Genossen: Der Vorstoß sei »berechtigt und notwendig«, sagte sie. Er komme, fügte sie hinzu, auch »zum richtigen Zeitpunkt«. Um Rio Reiser zu zitieren: Wann, wenn nicht jetzt?!

Dass ausgerechnet Budde in Leipzig in die Bütt stieg, schien passend; schließlich war es die SPD in Sachsen-Anhalt, die einst der PDS die Türen zum Mitregieren aufstieß. Acht Jahre lang tolerierte diese ab 1994 eine SPD-Minderheitsregierung, an der zunächst auch die Grünen beteiligt waren. Zwar stellte die PDS in jenem »Magdeburger Modell« keine Minister. Doch faktisch hatte sich die Liaison bis 2002 zu einer Koalition ohne Trauschein entwickelt, die nach der Landtagswahl in jenem Jahr auch formal besiegelt werden sollte.

Dazu kam es nicht: Die SPD unter Ministerpräsident Reinhard Höppner fuhr eine krachende Niederlage ein - und gab die Schuld dafür nicht zuletzt dem rot-roten Bündnis, das fortan vielen Sozialdemokraten im Land als verbrannt galt. Nach vier Jahren in der Opposition führte Jens Bullerjahn, einst einer der Chefunterhändler im »Magdeburger Modell«, die Partei in eine Koalition mit der CDU, obwohl es rechnerisch für ein Bündnis mit der LINKEN gereicht hätte. 2011 wiederholte sich die Geschichte. SPD-Spitzen führten eine angebliche Unzuverlässigkeit der LINKEN in Haushaltsdingen ins Feld. Das Kernproblem aber war ein anderes: Die LINKE lag in der Wählergunst vor der SPD, der Ministerpräsident hätte Wulf Gallert geheißen. Er wäre der erste Regierungschef überhaupt gewesen, den die LINKE in einem Bundesland gestellt hätte. Nicht mit uns, erklärte Bullerjahn brüsk - und wurde Minister unter einem CDU-Chef.

Wenn in Sachsen-Anhalt aber 2016 zum nächsten Mal gewählt wird, ist die Frage der künftigen Koalition offen wie schon lange nicht - und zwar auf Betreiben von Budde, der starken Frau in der Landes-SPD. Obwohl sie als Fraktionschefin in die Koalition eingebunden ist, bereitet sie in ihrer Partei auch für ein erneutes Bündnis mit der LINKEN den Boden. Vor der Wahl 2016 werde sich die SPD nicht auf ein Bündnis festlegen. Als Partner in einer Regierung kämen, sagte Budde dem »nd«, »alle momentan im Landtag vertretenen Parteien in Frage«: CDU, Grüne - und die LINKE.

Budde geht es dabei nicht um ein etwaiges rot-rotes Projekt. Die LINKE sei »kein geborener Partner« für die SPD und schon gar keine »Schwesterpartei« oder die »bessere« Sozialdemokratie, betonte sie in Leipzig. Sie sei aber, fügte die 48-jährige Ingenieurin mit nüchtern machtpolitischem Kalkül hinzu, etwas anderes: eine Alternative zur CDU.

Für die Erkenntnis bedurfte es des Sinneswandels in der Bundespartei nicht: Dadurch »hat sich für uns nichts geändert«, sagt Budde. Und in der Tat hat die resolute SPD-Frau die CDU im Magdeburger Landtag schon seit längerem merken lassen, dass beide Parteien nicht auf Gedeih und Verderb verbunden sind. Als der Streit um den Sparkurs im Land im Frühsommer eskalierte, drohte Budde unverhohlen mit möglichen politischen Alternativen: Die SPD sei »nicht dafür da, der CDU die Treue zu schwören«, erklärte sie in Interviews. Und als LINKEN-Fraktionschef Wulf Gallert sie im September offen zu Koalitionsbruch und Partnerwechsel einlud, lehnte Budde zwar ab und bekannte sich zum Bündnis mit der CDU - nannte diese aber gleichzeitig unumwunden einen »Lebensabschnittsgefährten«.

Bleibt eine offene Frage: Was ist, wenn die LINKE bei der nächsten Wahl erneut die Nase vorn hat? Budde, die als wahrscheinliche Spitzenkandidatin für den Wahlkampf 2016 gilt, schließt ein Bündnis - anders als ihr Vorgänger Jens Bullerjahn - auch für diesen Fall nicht per se aus. Eine nicht ganz belanglose Einschränkung gibt es freilich: »Persönlich«, erklärt Budde, stehe sie nur zur Verfügung, wenn ihre Partei vorn liegt. Die könnte sie damit womöglich in Gewissenskonflikte stürzen: Im Fall der Fälle müssten sich die Genossen zwischen einer Koalition und ihrer Chefin entscheiden. Allerdings dürfte Budde wissen: Auch eine Vorsitzende ist für ihre jeweilige Partei im Zweifelsfall nur Lebensabschnittsgefährtin.

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