Aus Tradition nicht neutral

Französischer Neokolonialismus in Afrika: Die europäische Macht versucht nach wie vor, mit militärischen Mitteln seine Wirtschaftsinteressen in Afrika zu sichern. Von Bernard Schmid

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Dieses Mal will ich glauben, dass der afrikanische Mensch in die Geschichte eingetreten ist», lässt die satirische französische Wochenzeitung «Le Canard enchaîné» in ihrer neusten Ausgabe den ehemaligen Präsidenten Nicolas Sarkozy in einer Karikatur sagen. Die Äußerung fällt, folgt man dem Zeichner, bei der Rückkehr Sarkozys von der Gedenkfeier für Nelson Mandela, am Dienstag dieser Woche. Amtsinhaber François Hollande hatte seinen Vorgänger dorthin mitgenommen.

Dass Mandela schon zu Lebzeiten in die Geschichte eingetreten ist, wird niemand bezweifeln. Die Karikatur bezieht sich darüber hinaus auf eine in lebhafter Erinnerung gebliebene Ansprache, die Sarkozy im Juli 2007 in der senegalesischen Hauptstadt Dakar hielt. An der dortigen Universität dozierte er: «Der afrikanische Mensch ist nicht hinreichend in die Geschichte eingetreten. Der afrikanische Bauer kennt nur den ewigen Wechsel der Jahreszeiten.» Die unglaubliche Ignoranz, mit der ein französisches Staatsoberhaupt diesen Ausspruch inmitten einer modernen und pulsierenden Metropole tat - sein Redenschreiber Henri Guaino soll von einer Vorstellung Hegels inspiriert gewesen sein -, wurde seitdem fast sprichwörtlich für die Arroganz der politischen Klasse Frankreichs im Umgang mit «ihren» früheren Kolonien in Afrika.

Bernard Schmid

... Jahrgang 1971, lebt seit 20 Jahren in Paris und ist als Jurist bei einer antirassistischen Nichtregierungsorganisation tätig. Nebenberuflich arbeitet er als freier Journalist und Buchautor.

Schmid beschäftigt sich vor allem mit der extremen Rechten in Europa, dem Maghreb und dem französischsprachigen Afrika. Seine jüngste Publikation ist 2011 unter dem Titel »Frankreich in Afrika. Eine Neokolonialmacht in Europa im 21. Jahrhundert« beim Unrast Verlag erschienen.

Für Sarkozys Nachfolger, den Sozialdemokraten Hollande, lag die Visite in Soweto auf halbem Wege zwischen dem Frankreich-Afrika-Gipfel, der am 6. und 7. Dezember im Elyséepalast - dem Amtssitz französischer Präsidenten - stattfand und wo es um «Frieden und Sicherheit in Afrika» ging, sowie seinem Abstecher in Bangui. In der Hauptstadt der Zen᠆tralafrikanischen Republik (ZAR) besuchte François Hollande die französischen Truppen, deren Stationierung dort wenige Tage zuvor begonnen hatte. 1600 Soldaten nehmen an der Opération Sangaris, deren militärischer Codename auf die Bezeichnung eines zentralafrikanischen Schmetterlings zurückgeht, teil. Auf einem Staatsgebiet, das rund 15 Prozent größer ist als jenes Frankreichs, sollen sie theoretisch dem seit Monaten schwelenden Bürgerkrieg, der 500 000 Menschen aus ihren Häusern flüchten ließ, ein Ende setzen und rivalisierende Milizen entwaffnen.

Dass dies gelingt, ist mittelfristig wenig realistisch, und die als seriös geltende Pariser Abendzeitung «Le Monde» - ein liberales Organ - spricht ebenso von «hohen Risiken» für den Erfolg des Einsatzes, wie die «Le Canard enchaîné». Letztere zitiert einen hochrangigen Mitarbeiter des Pariser Verteidigungsministeriums, der die Perspektiven wörtlich als «beschissen» bezeichnet.

Auch wenn der Mitte dieser Woche aus zentralafrikanischen Regierungskreisen vorgetragene Wunsch, zehn Mal so viele französische Soldaten wie derzeit geplant im Einsatz zu sehen, erfüllt würde, stünde die Erfüllung der offiziell gesetzten Ziele in Frage. Einerseits ist das Staatsgebiet der ZAR anders als der Norden Malis, wo die jüngste militärische Intervention Frankreichs seit Januar 2013 stattfindet - noch immer stehen dort fast 3000 französische Militärs - nicht von nackter Steinwüste, sondern einem Wechsel aus Wäldern und Savannen geprägt. Selbst Satelliten können kleine, hochmobile Gruppen von Kombattanten dort kaum aufspüren. Andererseits dürfte es den Franzosen schwerfallen, von allen Konfliktparteien als neutrale Schlichter wahrgenommen zu werden, die nur als Puffertruppe zwischen verfeindeten Gruppen stünden.

Die ZAR steht seit Jahrzehnten unter faktischer Kontrolle Frankreichs. Nach der formalen Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1960 wählte zunächst die Führung in Paris auch weiterhin das politische und militärische Führungspersonal aus. Wie in vielen früheren Kolonien in West- und Zen᠆tralafrika, mit Ausnahme von Guinea unter Ahmed Sékuo Touré und Mali unter Modibo Keita, die im selben Zeitraum zunächst einen (staats-)sozialistischen und blockfreien respektive pro-sowjetischen Kurs einschlugen.

Doch in der ZAR wurde Präsident Jean-Bédel Bokassa, der 1965 mit Billigung Frankreichs an die Macht gekommen war, nachdem er seit 1939 in der Kolonialarmee gedient und sich in ihr hochgearbeitet hatte, im Laufe der Jahre größenwahnsinnig. Er rief 1976 das «Zentralafrikanische Kaiserreich» aus, krönte sich selbst zum Monarchen und machte durch extreme politische Verfolgungen auf sich aufmerksam. Die Schutzmacht Frankreich stürzte ihn daraufhin Ende 1979, nachdem zuvor das spektakuläre Diamantengeschenk Bokassas an die Ehefrau von Präsident Valéry Giscard d’Estaing - es ging dauerhaft in die Geschichte ein - die Reputation des französischen Staatsoberhaupts nachhaltig beschädigt hatte. Bei der Opération Barracuda, wie der damalige Militäreinsatz hieß, dieses Mal nach einem Raubfisch benannt, brachten die Franzosen den Nachfolger Bokassas als Staatschef gleich selber im Flugzeug mit: Sie setzten dessen Cousin und Amtsvorgänger, David Dacko, als Präsident wieder ein. Er regierte allerdings nur zwei Jahre. Danach folgten mehrere Machtwechsel durch Militärputsche, über deren Erfolg oder Nichterfolg oft die Billigung oder Nichtbilligung Frankreichs entschied.

Als bislang letzter Präsident amtierte dort seit 2003 François Bozizé. Er genoss zunächst die Unterstützung seines französischen Amtskollegen Jacques Chirac, doch dessen Nachfolger Nicolas Sarkozy betrachtete Bozizé als engstirnig und borniert. Die Beziehungen zwischen beiden Regierungen verschlechterten sich. Aufgrund der Schwäche der zivilen Opposition, die vorhanden ist, aber sich kaum gegen das Regime durchzusetzen vermochte, schlossen sich viele Unzufriedene der bewaffneten Rebellenkoalition Seleka («Allianz») an. Ende März dieses Jahres übernahm diese, unter Einsatz ihrer Waffen, die Macht in Bangui - die dortige Zentralregierung implodierte, und Seleka-Chef Michel Djotodia proklamierte sich zum Präsidenten. Da Teile der Seleka jedoch eher aus Banditen als aus politischen Opponenten bestanden, häuften sich vor, aber vor allem auch nach dem Machtwechsel Ereignisse wie Plünderungen, Überfälle und Vergewaltigungen. Teile der ländlichen, später auch der städtischen Bevölkerung schlossen sich zu Selbstverteidigungsgruppen gegen die Milizen der Seleka zusammen, die inzwischen unter dem Namen Antibalaka («Gegen die Machete») zusammengefasst werden. Manche dieser Gruppen sind rein defensive Zusammenschlüsse von Dorfbevölkerungen. Aber manche entwickelten sich ihrerseits zu regelrechten Milizen, die mit der Seleka um Macht oder materielle Vorteilsnahme streiten. Hinzu kam eine wachsende Konfessionalisierung des Konflikts.

Die Seleka rekrutierte ihre Mitglieder aus vorwiegend islamischen Bevölkerungsgruppen, die an der Grenze zu Tschad und zu Sudan wohnen. Vor allem aber wäre ihr Erfolg ohne die Unterstützung der tschadischen Diktatur, die die stärkste Militärmacht in der Region aufweist, undenkbar gewesen. Angehörige der christlichen Bevölkerungsgruppen im Zentrum und im Süden der ZAR gingen in den letzten Monaten daraufhin zu einer oft pauschalen Feindseligkeit gegen Muslime über, es kam zu Übergriffen auf Zivilisten der jeweils anderen Konfession.

Die Ankunft der französischen Truppen wurde deswegen von manchen zunächst mit Applaus begrüßt oder jedenfalls mit Erleichterung aufgenommen. Tatsächlich hat die Intensität bewaffneter Auseinandersetzungen seit dem vorigen Wochenende abgenommen, und einige Milizionäre wurden entwaffnet oder gefangen genommen. Dass Frankreich auf Dauer von allen Beteiligten als lediglich auf Ausgleich bedachte, neutrale Macht aufgefasst wird, ist jedoch unwahrscheinlich. Die Anhänger des alten Präsidenten Bozizé etwa dürften nach wie vor erheblichen Groll gegen Frankreich hegen: Sie hatten in den Weihnachtstagen vergangenen Jahres die französische Botschaft in Bangui belagert und ein Eingreifen des Landes zugunsten der damaligen Regierung gefordert. Anders als 1996, 1997, 2003, 2006 und 2007 gegen damalige Rebellenverbände griff Frankreich dieses Mal jedoch nicht ein. Hintergrund war, dass die Pariser Regierung sich offenkundig dazu entschieden hatte, einen Machtwechsel zugunsten der Seleka zu akzeptieren, wurde diese doch auch durch einen engen Verbündeten unterstützt, das tschadische Regime. Ohne dessen Unterstützung wäre die Seleka militärisch unbedeutend.

Die Diktatur in Tschad ist eine der übelsten in der Region. Idriss Déby, der im Dezember 1990 mit Waffengewalt an die Macht gekommen war, errichtete eine auf ethnozentriertem Klientelismus basierende «Clanarmee» - alle wichtigen Posten sind mit Angehörigen seiner eigenen Volksgruppe, der Zaghawa, besetzt - und schlug mehrmals Rebellenbewegungen militärisch nieder. Wie 2006 und 2008, jeweils mit aktivem Eingreifen Frankreichs zu seinen Gunsten. Beim letzteren Mal «verschwanden» auch zivile, unbewaffnet agierende Oppositionspolitiker wie Ibni Oumar Mahamat Saleh spurlos. Das Ansehen des als notorischer Schlächter geltenden tschadischen Präsidenten verschlechterte sich jedoch in den letzten Jahren auch in Paris. Seitdem seine Armee in den ersten Monaten des Jahres 2013 das stärkste Truppenaufgebot nach dem französischen Kontingent bei der Intervention in Mali stellte, ist sein Ansehen aufpoliert worden - er gilt wieder als «unumgänglicher Verbündeter». Die Perspektive auf einen Machtwechsel in Tschad scheint erneut in weite Ferne gerückt. Frankreich ist seit 1986 ständig militärisch in Tschad präsent. In jenem Jahr begann die Opération Epervier (Sperber), die theoretisch nur wenige Monate dauern sollte und sich gegen die Einmischung von Libyens Gaddafi-Regime in Tschad richtete. Letzteres wurde 2011 durch libysche Rebellen, die sich auf eine französisch-britische Intervention stützen konnten, beseitigt.

Beim «Bürgerrechtstribunal gegen den französischen Neokolonialismus in Afrika», das am 4. Dezember in Paris als Gegengipfel zum Treffen der Staatsoberhäupter stattfand, sprach die aus der ZAR stammende Aktivistin Denise Yakazangba - sie steht an der Spitze einer Koalition aus 55 Nichtregierungsorganisationen und kandidierte 2011 als unabhängige Bewerberin zum Parlament - deswegen auch von Frankreich und Tschad als «Brandstifter». Zusätzlich wollten die Franzosen nunmehr den Feuermann spielen. Yakazangba forderte ein Ende der Einmischung, vor allem einen Rückzug Tschads aus den Angelegenheiten der ZAR.

Die rund 200 TeilnehmerInnen am Gegengipfel zeigten sich überzeugt, dass Frankreich in der ZAR am meisten am Uran interessiert sei. Der in Staatsbesitz befindliche französische Atomkonzern Areva hat dort seit 2007 am Standort Bakouma investiert, wo Uranerz geschürft werden soll. Die Arbeiten an der Mine wurden allerdings 2011 vorübergehend eingestellt, offiziell, weil Areva an der Rentabilität des Abbaus zweifelte. Im Hintergrund standen aber wohl eher heftige Rivalitäten: Der französische Staat warf dem damaligen Präsidenten Bozizé vor, chinesischen Investitionen in der Erdölförderung auf dem Boden der ZAR zu wohlwollend gegenüberzustehen. Deswegen dürfte man wohl auch seinen Sturz nicht gar zu ungern gesehen zu haben.

Areva drohte unterdessen zu Wochenbeginn vorübergehend mit einem Rückzug aus dem mittelafrikanischen Land Niger, wo derzeit 40 Prozent des Urans für die gigantisch ausgebaute französische Nuklearindustrie abgebaut werden. Niger ist zugleich eines der zehn ärmsten Länder der Erde - suchen Sie den Fehler!

Anlass für die Spekulationen über einen Rückzug aus Niger war, dass die Regierung in Niamey die Gewinne von Areva künftig mit 12 statt nur 5,8 Prozent besteuern möchte. Inzwischen wurden die Abzugspläne jedoch dementiert. Es ging wohl vor allem darum, den Druck auf die örtlichen Behörden zu steigern. Auch in Mali möchte Areva ab Januar 2015 Uran abbauen, in Faléa im Südwesten des Landes. Nur böse Geister könnten vermuten, dass da eventuell ein Zusammenhang zu vergangenen und gegenwärtigen Interventionen besteht.

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