Mission possible: Eine Reise ohne Wiederkehr

Die niederländische Firma »Mars One« will den Mars besiedeln - mit freiwilligen Astronauten, die sich für das riskante Experiment zur Verfügung stellen. Weltweit wurden dafür Bewerber gesucht, aus Spanien haben sich 3722 Personen gemeldet

  • Louis Max Blank, Madrid
  • Lesedauer: 11 Min.
2023 soll die erste Kapsel mit vier Astronauten die Erde für immer verlassen und gen Mars starten, um dort eine menschliche Siedlung zu gründen.

Spanier sind sehr verwurzelte Menschen. Sie lieben ihre Dörfer, ihre trockene Erde, das gute Essen und ihre Familien und Freunde. Die meisten Spanier fühlen sich in ihrem Land so wohl, dass sie nur ungern reisen. Fragt man etwa einen andalusischen Bauern, warum er noch nie aus Andalusien herausgekommen ist, antwortet er ohne zu zögern: Was soll ich denn woanders? Da kennt mich ja niemand.

Wenn sich ein Iberer entscheidet, sein Land zu verlassen, dann muss es schon triftige Gründe dafür geben. Die Rezession treibt derzeit hunderttausende arbeitslose junge Andalusier, Katalanen oder Galizier ins Ausland. Seit Januar 2011 haben fast eine Million Spanier ihr Land verlassen, um sich im Ausland ein neues Leben aufzubauen. Die meisten zieht es derzeit nach Deutschland, Österreich oder England, wo man sich gut bezahlte Jobs erhofft. Doch einige Spanier wollen noch viel weiter weg. Rund 1,672 Astronomische Einheiten von der Erde entfernt - auf den Planeten Mars.

Seitdem die niederländische Non-Profit-Organisation »Mars One« im April dieses Jahres weltweit Freiwillige sucht, die sich einer bemannten Raumfahrtmission auf den Mars anschließen wollen, kann sie sich kaum vor Bewerbungen retten. Allein 3722 mutige Spanier haben sich innerhalb von fünf Monaten gemeldet, die für das riskante Experiment Leib und Leben geben wollen.

Innerhalb der nächsten zehn Jahre soll das Projekt realisiert werden. Bis dahin werden die besten freiwilligen Astronauten gemustert und für die etwa sechsmonatige Reise vorbereitet. 2023 soll die erste Kapsel mit vier Astronauten auf dem Roten Planeten landen, die dort eine menschliche Siedlung und Forschungsstation gründen werden. Die Astronauten sollen Gewächshäuser, Wohnhäuser und Labors errichten, die das Überleben künftiger Generationen sichern. Jeden Tag werden Videobotschaften an die Erde gesendet, die das Leben auf dem Mars an alle TV-Stationen übertragen. Die ehrgeizige Marsmission wird von namhaften internationalen Raumfahrtunternehmen mit technischem Material gesponsert. Wohncontainer, Sonden und Transportkapseln werden schon heute für das kühne Vorhaben gespendet. Wissenschaftler und Nobelpreisträger charakterisieren Mars One als das »aufregendste menschliche Projekt aller Zeiten«.

Doch die Fahrt auf den Mars ist eine Viaje sin retorno - Reise ohne Wiederkehr. Denn die geplante bemannte Raumfahrt ist unter den derzeitigen technischen Voraussetzungen nur ein Hinflug. Wer sich dieser Mission anschließt, kann nicht zur Erde zurück und muss auf dem Mars sterben.

Mars One hat es mit cleverem Social-Media-Marketing, umfangreichem Merchandising und einer eleganten Website geschafft, weltweit mehr als 200 000 erdüberdrüssige Menschen aus 140 Ländern für das einmalige Experiment zu gewinnen. Der Start der Aktion im April 2013 erfolgte auf allen medialen Kanälen und glich einem Big Bang. Das Infovideo von Mars One über das Projekt wurde auf Youtube bereits 1 677 728 Mal angesehen. Die meisten Bewerber stammen aus den USA, Indien, China und Brasilien. In Europa folgen auf die traditionell abenteuerlustigen Briten gleich die Spanier. Offenbar pulsiert noch immer Kolonistenblut in den Adern der Kandidaten. Deutschland stellt nur ein Prozent der Bewerber.

Die Marsaspiranten geben sich keine Blöße vor der Öffentlichkeit und laden munter ihr persönliches Profil, Motivation, Fotos oder Videos auf die Website. Derzeit sind fünf Qualifikationsrunden für die erfolgreiche Bewerbung vorgesehen. Ab Runde 3 soll über eine eigene TV-Sendung in den jeweiligen Regionen abgestimmt werden können, wer zu den ersten Missionaren gehört.

Die Finanzierung des mit derzeit sechs Milliarden Dollar bezifferten ersten Fluges soll mit Einnahmen aus Übertragungsrechten und dem öffentlichen Interesse sowie einflussreichen Sponsoren finanziert werden. Das Firmenmotto ist es vor allem, für das ehrgeizige Marsprojekt in Medien und Internet viel Staub aufzuwirbeln. »Viele Leute interessieren sich für eine bemannte Mission zum Mars. Mars One nutzt dieses rege öffentliche Interesse, um die Mission zu finanzieren. Ein großes Publikum verkörpert auch ein großes finanzielles Potenzial«, heißt es vonseiten des Unternehmens. Die Firma sammelt derzeit Profile von Menschen, die bereit sind, ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Gekoppelt mit dem medialen Marketing auf allen Social-Media-Plattformen, im TV und in den klassischen Medien sind gewinnbringende Merchandising-Aktionen mit T-Shirts, Poster und bedruckten Marstassen, die sich die Bewerber kaufen. Der niederländische Physiknobelpreisträger Gerard 't Hooft hält das Projekt für technisch machbar und sagt einen enormen Medienboom voraus: »Das wird wohl das gigantischste Medienevent, das die Welt je gesehen hat. Überall werden Menschen diese aufregende Reise über TV und Internet verfolgen.«

Die Aktion trifft den Zeitgeist in Spanien. Die Leute haben die Nase voll vom Hier und Jetzt und wünschen sich ganz weit weg. Es sind meist Männer Mitte 20 bis 40, die sich für das risikoreiche Experiment im All zur Verfügung stellen wollen. Doch auch erstaunlich viele junge Frauen sind dabei. Die 18-jährige Studentin Ana Sotto Lozano aus Madrid will eine Familie auf dem Mars gründen. Die 28-jährige Ara Molino aus Bilbao will ein soziales Experiment miterleben. Und der spanische Operntenor Aurelio Gabaldon will unbedingt als erster Mensch auf einem neuen Planeten singen.

»Es ist ein bisschen wie bei Big Brother«, meint der 40-jährige Astrophysiker José Vicente Díaz Martínez, der sich ebenfalls bei Mars One beworben hat und gute Chancen ausrechnet, weil er sich für einen der normalsten Kandidaten hält. »Da sind viele Spinner dabei. Ich gehöre wohl eher zu den ernsthaften Bewerbern. Ich bin ledig und ohne Kinder und Astronom. Ideal!«

Mars One hat inzwischen wegen des großen Andrangs die Aufnahme neuer Bewerber gestoppt. Im Dezember ging es in die zweite Auswahlrunde. Dabei wird José Vicente wie alle anderen Kandidaten einem medizinischen Check unterzogen. Wenn der Arzt ihn für tauglich halte, sei er sicher bei einer der ersten Mannschaften dabei, die in einer Kapsel ab 2023 alle zwei Jahre ins All geschossen werden.

Für José Vicente wäre es die Erfüllung eines Kindheitstraumes. Neugier, eine sinnvolle Lebensaufgabe und eine Prise Überdruss treiben José Vicente an. Der Wissenschaftler wollte eigentlich Astronaut werden und hat deshalb Physik studiert. Sein Traum ist es, die Welt der Planeten und Sterne ein paar Lichtsekunden näher betrachten zu können. Wohl deshalb hat er in einer Sternwarte bei Valencia seine zweite Heimat gefunden. Im Bergdorf Aras de los Olmos erklärt er auf 1300 Metern Höhe Laien und Hobbyastronomen den Sternenhimmel. Seine Kurse sind beliebt. Es kommen Interessenten aller Altersgruppen und sozialen Schichten und auch etliche Dorfbewohner. Dass er auf den Mars will, halten sie für bewundernswert, aber vor allem für ziemlich verrückt. Wenn sich valencianische Bauern mit dem Sonnensystem befassen, dann vor allem, um zu verstehen, warum Bohnen bei Vollmond oder Neumond in unterschiedliche Richtungen keimen. Alles, was sich in der Ferne des Alls abspielt, interessiert sie nur, wenn es das Leben auf und in der Erde berührt. Keiner der Bauern käme auf die Idee, den Mars zu besuchen.

Der an der Universität Valencia dozierende Lektor José Vicente hat den dringenden Wunsch,und Meteore. Er gehört zu einer Gruppe weltweit vernetzter Astronomen, die nach bedrohlichen Objekten Ausschau halten, die mit der Erde auf Kollisionskurs sind. Akribisch notiert José die Positionsdaten und beschreibt die Objekte. Seinen Kursteilnehmern kündigte er an, dass Ende November mit Iso ein gigantischer Asteroid an uns vorbeisaust.

Während sich bei valencianischen Bauern aus Angst vor dem Weltuntergang die Nackenhaare aufstellen, zuckt der Wissenschaftler nur mit den Schultern und sieht das Dasein im großen Zusammenhang von Zeit und Raum. »Wir Menschen sind wie die Sterne aus den gleichen chemischen Bestandteilen zusammengesetzt. Sternenstaub sozusagen. Dazu werden wir auch wieder werden, wenn wir tot sind. Keine große Sache.«

Genau aus dieser Egalhaltung dem Tod und Leben gegenüber will er unbedingt zum Mars. Denn ohne große Entdeckung wieder in Asche zu verfallen, sei ihm dann doch zu bieder als Lebenswerk. Allerdings würde ihn der Einschlag eines umhersausenden Himmelskörpers bei der Fahrt zum Mars, die durch einen Asteroidengürtel führt, durchaus stören. Das wäre ein unrühmliches Ende einer heroischen Tat.

José Vicente ist wie die meisten Spanier ein ausgesprochener Familienmensch und keineswegs ein verkorkster Eigenbrötler. Er würde eine sichere Rückkehr zur Erde und das Wiedersehen mit der Familie einem einsamen Tod auf einem fernen Planeten vorziehen. »Es wäre schon besser, wenn die Raumkapseln wieder zur Erde zurückkehren würden. Ich sage das vor allem wegen meiner Eltern. Ist doch klar, dass die ihren Sohn nicht verlieren wollen.« Bis 2023 sei aber noch etwas Zeit, dies technisch umzusetzen, meint der Marsaspirant.

Auch die 28-jährige Ara Molina hat sich als Astronautin beworben, weil ihr das Leben ohne große Aufgabe zu belanglos erscheint. Die junge Baskin ist wie jeder zweite Jugendliche in Spanien arbeitslos, aber voller Unternehmungslust. Ara organisiert auf Facebook den Freundeskreis der spanischen Marsaspiranten, die sich gegenseitig bestärken und rege Diskussionen über wichtige philosophische oder praktische Lebensfragen führen. Für Ara sei die Marsmission vor allem ein Stillen der eigenen Neugier und zugleich ein bedeutender Dienst an der Menschheit. »Ich bin ein unruhiger Mensch und möchte mein Leben etwas Besonderem widmen.«

Auf die Frage, ob sie lebensmüde sei, antwortet sie mit einem Lächeln. »Ganz im Gegenteil. Ich liebe das Leben, und genau deshalb möchte ich es verbessern für diejenigen, die auf der Erde bleiben. Wenn Menschen verschiedener Herkunft und Kulturen gemeinsam an einem Projekt wie der Besiedlung eines neuen Planeten arbeiten, haben wir einen enormen Beitrag für die menschliche Gemeinschaft geleistet.«

Aus Aras Sicht sind die meisten Bewerber Optimisten, die keineswegs des Lebens überdrüssig seien. »Ich weiß, dass die meisten über uns lachen. Meine Freunde und meine Familie hoffen, dass aus der ganzen Sache sowieso nichts wird.« Doch Ara hält nichts mehr auf der Erde. Für sie ist die Marsmission eine Gelegenheit für die Menschheit, anderswo ein neues und besseres Leben zu beginnen. »Mars One ist nicht vergleichbar mit einer NASA-Mission mit technisch-wissenschaftlichem oder militärischem Ziel. Es handelt sich vielmehr um ein soziologisches Experiment«, sagt Ara.

Sie hat sich mit aller Kraft und Energie der Bewerbung als Astronautin gewidmet und hofft inständig, als Kandidatin in die nächste Runde gewählt zu werden. Sie habe keine Kinder, aber einen festen Freund. Ob der traurig sei, wenn sie ihn und die Erde für immer verlasse, beantwortet die junge Frau ganz cool. »Ich denke, jeder ist für sein Leben selbst verantwortlich und sollte sich von niemandem hineinreden lassen. Mein Freund will nicht seine Stadt verlassen, um zu mir nach Bilbao zu ziehen. Dann habe ich auch das Recht, genauso gut die Erde zu verlassen.«

Offenbar interpretiert jeder Bewerber den Sinn und Nutzen der Mission anders, und das scheint ganz im Sinne des Unternehmens zu sein. Die Hauptmotivation der Aktion ist die menschliche Neugier, der Drang nach Veränderung. Der erste Mensch auf einem neuen Planeten zu sein, die Erde aus einer anderen Perspektive zu betrachten, eine neue Menschheit gründen - das zählen die Macher von Mars One zu den wichtigsten Motiven für die vielen Tausend Bewerber.

Für viele Spanier kommt vielleicht noch der bittere Geschmack einer zunehmend als Seinskrise empfundenen Wirtschaftskrise hinzu. Die Zukunftsaussichten im eigenen Land bezeichnen viele als düster. Dennoch geizen die Kandidaten nicht mit dem Investieren in ein Projekt, das in weiter Zukunft liegt. Zwischen 5 und 73 Dollar kosten die Registrierungsgebühren, um ein Profil auf der Website von Mars One zu platzieren und sich als Astronaut zu bewerben. Erst in den letzten Auswahlrunden können die Kandidaten damit rechnen, für ihr Engagement bezahlt zu werden. Bislang erhält niemand Reisekosten zu den regionalen Castingtreffen oder Spesen für den persönlichen Aufwand erstattet. »Geld interessiert mich nicht«, sagt José Vicente. »Auf dem Mars gibt es keinen Supermarkt. Was soll ich mir schon groß kaufen?« Dass die spanischen Kandidaten trotz knapper Kassen ihr Leben und Geld in ein visionäres Projekt investieren, zeigt, wie viel größer die Hoffnung ist als die Verzweiflung.

Auch den Hochzeitsfotografen Juan José Navarro (49) aus Palma de Mallorca interessiert nicht, was er als Astronaut verdienen würde. Es ist das Neue und Unbekannte, das seinen Entdeckerinstinkt geweckt und ihn zur Kandidatur bewegt hat. Er hält das Projekt für einen wertvollen Dienst an der Menschheit. »Ich bin an einem Punkt in meinem Leben angelangt, wo ich alles erreicht habe. Ich habe vier Kinder, bin verheiratet, habe ein Haus, Arbeit, ehrlich gesagt, sehr viel Arbeit, die sich immer wiederholt. Ich bin bereit für etwas ganz Neues und dies ist für mich ein bedeutsamer Lebensschritt«, sagt José. Die Marsmission sei für ihn der höhere Sinn seines Lebens. »Man sagt ja, man solle einen Baum im Leben pflanzen. Für mich heißt die neue Lebensaufgabe, auf den Mars zu fliegen.«

Teil der geplanten Mission ist die Kolonisierung eines unbewohnten Planeten durch den Menschen. Astrophysiker José Vicente hat da so seine Bedenken, falls es doch Leben auf dem Planeten gäbe. Schließlich sei die Mission auf den Mars durchaus mit der Kolonialzeit vergleichbar. Als Spanier schäme er sich für die Verbrechen, die spanische Missionare an fremden Kulturen begangen hätten. Mit diesem Eroberergeist wolle er auf keinen Fall den Kosmos kontaminieren. »Wir sind heute weitaus zivilisierter«, glaubt der Wissenschaftler, »und wollen uns etwaigem neuen Leben freundschaftlich gegenüber verhalten.«

Persönlich hätte er als Spanier in dem menschlichen Genpool, der als Basis für künftige Generationen auf dem Mars das Überleben sichern soll, durchaus positive Eigenschaften einzubringen: Leidenschaft, Herz und Großzügigkeit. Das seien doch typisch spanische Eigenschaften und nicht die schlechtesten, um eine neue Menschheit fernab auf einem neuen Planeten zu gründen.

»Sollten wir neuen Lebensformen begegnen, will ich ihnen die Hand reichen und deutlich machen, dass wir zwar neugierig, aber friedlich sind.« Die Zeiten der Eroberung im Stile Pizarros oder Columbus' seien endgültig vorbei. Die Spanier seien recht bescheiden geworden. Vielleicht auch wegen der Krise.

Link zu den Profilen der Bewerber: applicants.mars-one.com

Video zur Marsmission (Englisch): youtu.be/n4tgkyUBkbY

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