Der Fluch der Gelbbauchunke
Wenn der Artenschutz grüne Projekte bedroht - ein Bericht aus Baden-Württemberg
Kammmolche haben schon eine Autobahn verhindert, Wachtelkönige, Kleine Hufeisennasen, Feldhamster oder Auerwild haben andere Bauvorhaben gestoppt. Meist auf ihrer Seite: die Grünen. Die Ökopartei kümmert sich gar zu gerne um bedrohte Arten. Es sei denn, Vögel oder Amphibien gefährden ihrerseits ein grünes Großprojekt: die Energiewende.
Der Rote Milan hat schon einen Sieg errungen. In Horb am Neckar im Schwarzwald hat der Greifvogel einen Windpark verhindert, der die Energiewende in Baden-Württemberg voranbringen sollte. Gerade hier gibt es Nachholbedarf, hält der Südwesten doch seit langem die Rote Laterne bei der Windkraft. Nachbarn wie Rheinland-Pfalz und Bayern, auch keine Küstenländer, sind weit enteilt.
Für die Vögel sei das Kollisionsrisiko mit den riesigen Windkraft-Rotoren zu groß, heißt es beim Land, das Landschaftsbild werde gestört. Geht das so weiter, komme die Energiewende im Südwesten nie voran, unkte die Opposition aus CDU und FDP.
Symbol für das Grüne Dilemma ist eine Äußerungen des grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann: Es sei falsch, mit irgendeiner Gelbbauchunke »als letztem Rettungsanker« wichtige Projekte wie den Klimaschutz zu bekämpfen. Sein Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) formuliert es so: »Wir müssen Natur und Arten schützen - wir müssen aber genauso das Klima schützen.«
Ähnliche Probleme gibt es bundesweit, wie die Deutsche Umwelthilfe (DUH) berichtet. Einfach klären ließen sie sich nicht, sagt Gerd Rosenkranz, Leiter Politik bei der DUH. »Wir müssen diesen Konflikt annehmen, auflösen kann man ihn in der Regel nicht«, sagt er. Wichtig sei, dass man sich Zeit nehme und vor Ort Alternativen kläre. Nach Angaben der Denkfabrik »Agora Energiewende« liegt der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung bei 23 Prozent. Bis 2030 sollen es 50 Prozent, bis 2050 mindestens 80 Prozent sein.
Am größten ist der Konflikt zwischen Natur- und Artenschutz auf der einen Seite und dem Wunsch nach mehr Ökoenergie auf der anderen sicher bei der Windkraft, wie die DUH berichtet. Beim bundesweiten Schlusslicht Baden-Württemberg wird das besonders sichtbar: Grün-Rot will aufholen und schiebt den Rückstand auf eine jahrzehntelange Blockade der lange regierenden CDU. Das Ziel der einzigen grün-roten Landesregierung sind 1200 neue Anlagen bis 2020. Das sei erreichbar, nachdem planungsrechtliche Hürden aus CDU-Zeiten weggeräumt seien. Die Nachfrage sei da. Allerdings dürfe das Ganze nicht durch neue Vorgaben aus Berlin bedroht werden. Schon die Ankündigung der großen Koalition, nur noch beste Windkraft-Standorte zu fördern, könne dramatische Folgen haben, heißt es im grünen Lager. Auch Windkraft-Firmen beklagen die unklare Förderpolitik.
Unübersichtlich ist die Lage bei der Wasserkraft. Während die Arbeitsgemeinschaft Wasserkraftwerke behauptet, das Land verhindere bereits beantragte Anlagen, heißt es in den zuständigen Ministerien, Probleme lägen aktuell nicht vor. Oder seien lösbar. Die große Wasserkraft sei vom Potenzial her ausgeschöpft, das Potenzial der kleinen nicht mehr groß. »Damit steht und fällt die Energiewende nicht«, sagte ein Sprecher im Stuttgarter Naturschutzministerium. Beliebt sind die Querbauwerke bei Naturschützern nicht: Sie störten die Prozesse im Fließgewässer empfindlich, das Abflussverhalten werde verändert, die Wanderungen der Fische behindert.
Rainer Baake, neuer grüner Staatssekretär im neuen Wirtschafts- und Energieministerium von Sigmar Gabriel (SPD), sieht die Energiewende auf zwei Pfeilern ruhen: Wind und Photovoltaik. Bei letzterer gelinge es, Ökoenergie ohne Mehrkosten zu produzieren, sagte er kürzlich in Stuttgart. Ihr Anteil an der erneuerbaren Energie in Deutschland werde 2020 bei etwa 70 Prozent liegen und später auf 80 bis 90 Prozent anwachsen. Und das Positive an der Sonnenenergie: Es gibt so gut wie keinen Streit, auch nicht mit Naturschützern. Als »konfliktfrei« schätzen auch die Umweltverbände BUND und Nabu das Ganze ein, zumal die Flächen meist ohnehin schon versiegelt sein. Große Pläne für neue Solar-Felder gebe es nicht. dpa/nd
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