Werbung

No woman no spy

Nicht einmal zur Ausnahme für die deutsche Regierung will sich Washington verpflichten

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 4 Min.
Es wird allem Anschein nach nicht zum Abkommen Deutschlands mit den USA kommen, das ein gegenseitiges Spionageverbot regeln sollte. »No spy« scheitert am guten Willen des Weißen Hauses.

»No woman no cry« - Nein, Frau, weine nicht ... In dem bekannten Song von Bob Marley geht es nicht um Angela Merkel, es könnte aber. Die Bundeskanzlerin hätte allen Grund, bittere Tränen zu vergießen, wenn es stimmt, was jetzt an die Öffentlichkeit dringt. Die USA-Regierung beharrt auf ihrem Recht, die Welt auszuspionieren und keinen Unterschied zu machen, ob es sich um Freund, Feind oder sonst wen handelt. Doch was heißt schon Freund, bei Bob Marley, der die laut über die Straße hallenden Schmerzensschreie einer misshandelten Frau zum Thema machte, handelte es sich immerhin um den Ehemann, der Auslöser war. Warum sollte der Chef im Weißen Haus nett zur deutschen Bundeskanzlerin sein, wenn seine Bedeutung in der Welt doch nicht zuletzt aus genau der machtpolitischen Einstellung zu dieser Welt rührt, zur Schau getragene Freiheitsliebe nicht mit Skrupeln zu verwechseln und den eigenen Vorteil zu nutzen, wenn er sich bietet.

In Medienberichten war offenbart geworden, dass die mit der Aushandlung eines »No-spy-Abkommens« mit den USA beauftragten Beamten des Bundesnachrichtendienstes ziemlich frustriert sind. »Wir bekommen nichts«, hatte die »Süddeutsche Zeitung« einen von ihnen zitiert. Regierungsvertreter des Weißen Hauses hätten durchblicken lassen, dass die US-Geheimdienste ein gegenseitiges Überwachungsverbot nicht ernsthaft in Erwägung zögen. Sie wollten keinen Präzedenzfall schaffen und Begehrlichkeiten anderer Länder wecken.

Washington verweigere auch nach wie vor jede Auskunft darüber, welche deutschen Spitzenpolitiker weiterhin abgehört würden und in welchem Zeitraum die Kanzlerin selbst Opfer der Telefonüberwachung war. Es dürfte Angela Merkel kaum trösten, wenn Präsident Barack Obama ihr zugesichert hatte, sie selbst sei nicht länger Gegenstand der geheimdienstlichen Neugier seiner Behörden. Denn wenn dies nur für sie gälte, nicht aber für die Bundesregierung insgesamt, wäre dies nichts weniger als ein Affront und wohl dann nicht einmal glaubwürdig. Abgesehen von der Frage, auf welcher Ebene, bei welchem Personen- oder Behördenkreis die Spionageerlaubnis denn unbedenklich wäre.

Doch obwohl es dank moderner Kommunikationsmittel durchaus möglich wäre, Empörungsrufe hörbar nicht nur über die nächste Straße, sondern auch über den Großen Teich zu schicken, verbirgt Angela Merkel ihren mutmaßlichen Schmerz tief im Kanzleramt. Und trotz offenbar parteiübergreifenden Unbehagens klingen die Kommentare aus den Reihen der Regierungskoalition merkwürdig unbeholfen. Unionsfraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer: »Wir müssen schon davon ausgehen, dass es sich nicht gehört, wenn Freunde ausgespäht und abgehört werden, wenn es nicht darum geht, gegen mögliche terroristische Angriffe vorzugehen.«

Der Bundesnachrichtendienst selbst wahrt öffentlich einen Rest Ehrgefühl und weist hölzern darauf hin, dass er sich zu Details der Gespräche mit den USA-Stellen ausschließlich gegenüber der Regierung und den zuständigen Bundestagsgremien äußern werde. Ein Sprecher der Bundesregierung hatte zuvor erklärt, die Verhandlungen dauerten an. Offenbar denkt man in längeren Zeiträumen, denn wie die »Süddeutsche« und der NDR berichteten, hofft man, »in den nächsten drei Monaten noch etwas hinzubekommen«. Kurzum: Die Zeichen verdichten sich, dass es entweder zu keinem Vertrag kommt oder dieser nur als Alibi, nicht aber als ernsthafte Einschränkung der amerikanischen Spionage taugt.

Die Zaghaftigkeit der Bundesregierung bleibt weder in der Öffentlichkeit noch in der Opposition verborgen; die LINKE hat eine Aktuelle Stunde beantragt, in der sich am heutigen Mittwoch der Bundestag mit dem offenbar gescheiterten No-Spy-Abkommen beschäftigen wird. LINKE und Grüne haben bereits angekündigt, der NSA-Affäre in einem Untersuchungsausschuss auf den Grund gehen zu wollen. Doch auch wenn die Regierungskoalition Entgegenkommen signalisiert hat, zeigt ihr jetziges Agieren, mit welcher Entschlossenheit sie sich an einem solchen Gremium beteiligen wird - zumal dann auch die Aktivitäten deutscher Geheimdienste sowie ihre Zusammenarbeit mit ausländischen Diensten Thema werden müssten.

»Wir kommen keinen Schritt weiter, weil die Bundesregierung in den USA viel zu zaghaft Antworten einfordert«, beklagt der Grünen-Politiker Christian Ströbele. Jan Korte, stellvertretender Vorsitzender der Linksfraktion, klingt deutlich genervt. Bereits ein halbes Jahr sei vergangen, seit »wir von einem praktisch grundgesetzwidrigen Zustand in der Bundesrepublik« wissen. Mit Verweis auf das in Arbeit befindliche Abkommen habe die Bundesregierung jede eigene Initiative verweigert, »fröhlich weiter Daten geliefert und dazu auch gleich noch die PR-Arbeit der US-Regierung erledigt«. Er sei gespannt auf die nächsten Nebelkerzen der Kanzlerin in Sachen Grundrechtsschutz. Nebelkerzen im Kanzleramt? Die wären, wenn der Wind ungünstig steht, womöglich der letzte profane Grund für Merkels Tränen.

Mehr zum Thema online: dasND.de/inbewegung

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!